Zahnersatz

Kein Ausnahmefall für Zahnimplantat

In der Regel haben gesetzlich Krankenversicherte – auch Krebspatienten – keinen Anspruch auf eine zahnmedizinische Versorgung mit Implantaten. Die Kassen dürfen nur dann Kosten dafür erstatten, wenn bestimmte Ausnahmeindikationen vorliegen. Dies hat das Bundessozialgericht erneut klargestellt. Von Anja Mertens

Urteil vom 10. März 2022
– B 1 KR 2/21 R –

Bundessozialgericht

Probleme mit den Zähnen

können Krebs­patienten sehr belasten: Bei der Strahlen- und Chemotherapie bildet sich häufig Karies, die sogenannte Strahlenkaries. Wie bei allen gesetzlich Krankenversicherten sieht die zahnmedizinische Regelversorgung auch bei Krebspatienten meist nur einen Zuschuss zu den Kosten vor. Die Kosten für Implantate und implantatgetragenen Zahnersatz dürfen die Kassen nur in besonders schweren Fällen übernehmen, und nur dann, wenn Betroffene nicht mit Zahnersatz im Rahmen der Regelleistung versorgt werden können. Wann ein besonders schwerer Fall vorliegt, regelt die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung. Für Krebspatienten ist dabei relevant, dass die Richtlinie bei größeren Gesichts- oder Kieferdefekten infolge von Tumorerkrankungen oder einer dauerhaft bestehenden extremen Mundtrockenheit zur Anwendung kommt. Darüber hinaus dürfen die Kassen keine Ausnahmen zulassen. Ob ein besonders schwerer Fall bei einem Krebspatienten vorliegt, hatte das Bundessozialgericht (BSG) erneut zu entscheiden.

Kostenerstattung abgelehnt.

Geklagt hatte ein Mann, der 1988 an Morbus Hodgkin (bösartiger Tumor des Lymphsystems) erkrankt war und strahlen- und chemotherapeutisch behandelt worden war. Im September 2016 beantragte er bei seiner Krankenkasse unter Vorlage eines zahnärztlichen Kostenvoranschlags über 15.883,80 Euro sowie von Behandlungsplänen die Kostenübernahme für unter anderem implantologische Leistungen. Nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst bewilligte sie eine Kostenübernahme im Rahmen der gesetzlichen Festzuschüsse für den Zahnersatz und lehnte eine weitere Kostenübernahme für die geplante Implantatversorgung ab. Daraufhin klagte der Patient vor dem Sozialgericht, hatte aber keinen Erfolg.

Die von dem Patienten selbst beschaffte implantologische Leistung war nicht identisch mit der beantragten.

Während des Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht (LSG) ließ der Patient in einer anderen Zahnarztpraxis eine Implantat- und Zahnersatzversorgung durchführen und bezahlte die Kosten von 17.581,53 Euro selbst. Das LSG wies seine Berufung zurück. Er habe keinen Anspruch auf die Implantatversorgung, weil keine der vom GBA anerkannten Ausnahmeindikationen vorliege. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich auch nicht aufgrund der fiktiven Genehmigung des Leistungsantrags. Die erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten Rechnungen stammten von einer anderen Zahnarztpraxis und bezögen sich nicht auf die beantragten Leistungen.

Daraufhin legte der Patient Revision beim BSG ein. Er rügte die Verletzung von Paragraf 28 Absatz 2 Sozialgesetzbuch V (SGB V) in Verbindung mit der GBA-Richtlinie sowie Paragraf 13 Absatz 3a SGB V. Zu Unrecht habe das LSG das Vorliegen einer Ausnahmeindikation sowie einen Kostenerstattungsanspruch wegen fiktiver Genehmigung des Leistungsantrags verneint. Er habe die implantologische Versorgung des Unter­kiefers als Folge seiner Krebserkrankung und -behandlung beantragt.

Ausnahmeindikation verneint.

Die Kasseler Bundesrichter wiesen die Revision zurück. Implantologische Leistungen gehörten nicht zur zahnmedizinischen Regelversorgung und dürften von den Kassen nicht bezuschusst werden. Nach Paragraf 28 Absatz 2 SGB V gelte dies nur dann nicht, wenn Ausnahmeindi­kationen in besonders schweren Fällen vorlägen, die in der GBA-Richtlinie geregelt seien. Beim Kläger läge keine der Richtlinie entsprechende Ausnahme­indikation vor. Weder leide er an einem größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekt noch an einer genetisch bedingten Nichtanlage von Zähnen oder an muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichts­bereich. Auch sei keine als Folge der Strahlen- und Chemotherapie fortwirkende erhebliche Mundtrockenheit (Xerostomie) festgestellt worden.

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Eine er­gänzende Auslegung – wie hier etwa im Hinblick auf eine durch eine frühere Chemo- oder Strahlentherapie bedingte Demineralisierung der Zähne – komme nicht in Betracht. Da keine der Ausnahmeindikationen vorläge, könne dahingestellt bleiben, ob der Anspruch auf die Versorgung mit Implantaten auch deshalb nicht bestand, weil sie nicht im Rahmen einer medizinischen Gesamt­behandlung erfolgte.

Genehmigungsfiktion greift nicht.

Auch verneinte das BSG einen Anspruch des Krebspatienten auf Kostenerstattung wegen fiktiver Genehmigung (Paragraf 13 Absatz 3a SGB V). Die Genehmigungsfiktion erlaube zwar einem Versicherten, sich eine beantragte Leistung nach Frist­ablauf zulasten seiner Kasse selbst zu beschaffen. Nach erfolgter Selbstbeschaffung dürfe diese eine Kostenerstattung nicht mit der Begründung ablehnen, dass nach GKV-Recht kein Anspruch auf die Leistung bestehe. Für die Kostenerstattung müsse aber der Versicherte die selbst beschaffte Leistung hinreichend bestimmt beantragt haben. Doch im vorliegenden Fall entspräche die selbst beschaffte Leistung nicht der beantragten. Dass die mit den Implantaten versorgten Zahnregionen teilweise identisch mit dem bei der Kasse eingereichten Antrag seien, spiele keine Rolle. Denn in dem Antrag sei es ursprünglich darum gegangen, die implantologischen Voraussetzungen für eine spätere Versorgung mit einer festsitzenden Oberkiefer-Zahnprothese zu schaffen, nicht aber um eine jeweils isolierte Versorgung mit einzelnen Implantaten. Das beantragte Implantatkonzept sei eine andere Leistung als das Konzept, nach dem sich die tatsächlich durch­geführte Versorgung gerichtet habe.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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