Bei vielen Therapien fallen hohe Kosten an.
Arzneimittel

Ringen um gerechte Preise

Gibt es einen fairen Preis für Medikamente? Dieser Frage widmete sich der Deutsche Ethikrat bei seiner Jahrestagung. In den Diskussionen prallten die bekannten Argumente von Wissenschaft, Kostenträgern und Industrie aufeinander. Von Thomas Rottschäfer

Vor 50 Jahren

lag die durchschnittliche Lebenserwartung für Mukoviszidose-Patienten bei nur wenigen Jahren. Dass es inzwischen im Schnitt fast 56 Jahre sind, verdanken Stoffwechselerkrankte auch der Pharmaforschung. Sogenannte CFTR-Modulatorentherapien versprechen weitere Sprünge bei der Lebens­erwartung und deutliche Verbesserungen für Gesundheit und Lebensqualität der mehr als 8.000 Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die allein in Deutschland von der bislang unheilbaren Erbkrankheit betroffen sind.

Große Erwartungen, hohe Kosten.

Bei der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates, die sich mit dem Thema gerechter Preisbildung bei teuren Arzneimitteln beschäftigte, nannte der Bundesvorsitzende des gemeinnützigen Vereins Mukoviszidose, Stephan Kruip, seine eigenen Therapiekosten: 700 Euro für die tägliche Dosis, drei Tabletten des Präparates Kaftrio – 21.000 Euro im Monat, 250.000 pro Jahr. Bekämen alle Mukoviszidose-Patienten, für die Kaftrio geeignet ist, dieses Präparat, würde allein dies die Krankenkassen in Deutschland jährlich 1,3 Milliarden Euro kosten. „Die Verfügbarkeit der neuen Therapie bedeutet alles für uns. Voraussetzung ist aber ein fairer und nachhaltiger Preis“, betonte Kruip, der auch dem Ethikrat angehört.

Rund ein Prozent der Verordnungen machen 43 Prozent der Arzneiausgaben aus.

Den Spitzenplatz bei den Hochpreis­präparaten belegt derzeit das Gentherapeutikum Libmeldy zur Behandlung einer seltenen Erbkrankheit bei Kindern. Der Listenpreis für die Einmaltherapie liegt bei 2,5 Millionen Euro. Nach Zahlen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hat die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) 2020 für Medikamente mit einem Packungspreis ab 1.000 Euro fast 21 Milliarden Euro bezahlt. 1,1 Prozent der Verordnungen machten 43 Prozent der Arzneimittel­ausgaben aus.
 
Der stellvertretende WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder warnte bei der Tagung vor einer „Zerreißprobe für das Solidarsystem“. Niemand stelle die Verfügbarkeit neuer Medikamente direkt nach Marktzulassung infrage, so Schröder. Erforderlich sei aber „eine Balance zwischen Arzneimittelnutzen, Bezahlbarkeit und berechtigten Gewinninteressen der Pharmaunternehmen“. Vorschläge, wie dies gelingen kann, sind im „Arzneimittel-Kompass 2021“ dargestellt.
 
Wie Schröder forderte auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Professor Josef Hecken, eine Weiterentwicklung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes von 2011. Neupräparate müssten ab einer Umsatzschwelle von 25 Millionen Euro pro Jahr in die Nutzenbewertung einbezogen werden (aktuell 50 Millionen Euro). Der nach der Nutzenbewertung zwischen Krankenkassen und Herstellern ausgehandelte Preis müsse rückwirkend ab dem siebten Monat nach der Zulassung gelten. Die AOK fordert Interimspreise auf Basis der Vergleichstherapie, schnellere Preisverhandlungen und Rückwirkung ab Marktzugang. Bisher können pharmazeutische Unternehmen Preise für ein Jahr nach Belieben festsetzen. Auch Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach hat inzwischen Reformen angekündigt.

Der Präsident des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Han Steutel, begründete die Hochpreispolitik mit den Forschungs- und Entwicklungskosten, die Pharmaunternehmen in den zehn Patentschutzjahren wieder hereinholen müssten. Auch Fehlinvestitionen seien eingepreist. So habe das deutsche Unternehmen Curevac eine Milliarde Euro in einen Corona-Impfstoff investiert, der am Ende nicht auf den Markt gekommen sei. „Wir haben fünf Impfstoffe, aber 375 andere Projekte sind gescheitert oder wurden gestoppt, weil es keinen Bedarf mehr gibt“, so Steutel.

Forschungskosten transparent machen.

Das Handeln der Industrie in der Corona-Krise bezeichnete auch Schröder als „Erfolgsgeschichte“, gerade auch an­gesichts der BioNTech-Gewinnmarge von 80 Prozent. Die Branche müsse ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung aber transparent darstellen. Nur dann lasse sich beurteilen, „ob wir faire Preise bezahlen und welche Gewinnspannen gerechtfertigt sind, ohne dass die Innovationsfreudigkeit und -fähigkeit der pharmazeutischen Industrie geschmälert wird“.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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