Befragung

Einsamkeit in der Corona-Zeit

Die Pandemie hat bei vielen Menschen das Gefühl von Einsamkeit verstärkt. Wie sich das auf ihr Gesundheitsverhalten und -empfinden ausgewirkt hat, zeigen Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativ-Befragung. Von Klaus Zok und Dr. Anne Blawert

Mit Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 hat sich das soziale Leben grundlegend verändert. Eine unbestimmte Angst vor Ansteckung machte jede Zusammenkunft zu einem Risiko­ereignis. Mobilitäts- und Kontaktbeschränkungen, Schulschließungen, Homeoffice-Pflicht sowie Besuchsverbote in Pflegeheimen und Krankenhäusern führten zu einer drastischen Abnahme von persönlichen Begegnungen und Möglichkeiten zum Austausch. Dies zeigt sich in deutlich erhöh­ten Einsamkeitsraten. Kurz nach der ersten Welle der Pandemie im Juni/Juli 2020 berichteten nicht mehr neun, sondern schon 13 Prozent der Teilnehmenden des Deutschen Alterssurvey, Einsamkeit zu erleben.

Risikofaktor für die Gesundheit.

Das Thema Einsamkeit bekam bereits in den Jahren vor der Pandemie große mediale Aufmerksamkeit. Manche sprachen gar von einer Einsamkeitspandemie; Großbritannien ernannte eine Einsamkeitsministerin. Auch die deutsche Politik hat sich des Themas nun angenommen und will bis zum Ende der Legislaturperiode eine Strategie gegen Einsamkeit erarbeiten. Wenngleich das Erleben von Einsamkeit für den Einzelnen immer schlimm ist und – vor allem, wenn sie auf Dauer besteht – einen ernstzunehmenden Risikofaktor für die Gesundheit und die Lebensqualität darstellt, so schien die Einordnung als „Pandemie“ in den vergangenen Jahren zumindest in Deutschland als übertrieben.

Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Das Gefühl der Einsamkeit erleben Menschen, wenn eine subjektiv wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen besteht, so die Definition der US-amerikanischen Wissenschaftler Daniel Perlman und Letitia Anne Peplau (1982).
 
Einsamkeit ist dabei nicht mit Alleinsein gleichzusetzen. Es gibt Alleinlebende ohne enge Beziehungen, die sich dennoch nicht einsam fühlen. Im Gegensatz dazu erleben manche Menschen Einsamkeit, obwohl sie mit ihrer Familie zusammenwohnen. Einsamkeit ist also etwas zutiefst Subjektives und wird immer als schmerzlich empfunden. Gleichzeitig ist Einsamkeit auch mit Stigma behaftet: Wer sich einsam fühlt, gibt dies nur ungern zu oder hat gegebenenfalls niemanden, dem er oder sie sich anvertrauen kann. Diese Menschen sind mit Hilfsangeboten schwer zu erreichen.

Fragebogen fokussiert Gesundheitsverhalten.

In einer aktuellen Studie hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) die Rate von Einsamkeit in der Allgemeinbevölkerung sowie die Zusammenhänge von Einsamkeit mit verschiedenen Bereichen der Gesundheit nach den ersten drei Infektionswellen der Covid-19-Pandemie in Deutschland analysiert.

Wer sich einsam fühlt, gibt dies nur ungern zu und ist mit Hilfsangeboten schwer zu erreichen.

Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf einer Online-Befragung der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter ab 18 Jahren. Es handelt sich um eine repräsentative Quotenstichprobe auf der Basis eines Online-Access-Panels (Respondi, Köln) mit insgesamt 5.000 Personen. Die Stichprobe ist aufgrund der festgelegten Quoten alters- und geschlechtsrepräsentativ für die deutsche Wohnbevölkerung. Die Studienteilnehmenden wurden per Zufallsverfahren für die Befragung ausgewählt. Der Anteil der realisierten Teilnahmen an allen eingeladenen Personen (n= 41.163) lag bei zwölf Prozent. Der vom WIdO konzipierte Fragebogen fokussiert Themenstellungen zum Gesund­heits­verhalten der Bevölkerung sowie Erfahrungen mit dem ambulant-ärztlichen Versorgungsgeschehen in der Pandemie im Zeitraum März 2020 bis Juli/August 2021. Die Befragung fand im Juli/August 2021 statt.

Skala misst zwei Komponenten.

Einsamkeit kann auf ganz verschiedene Weise erfragt werden. Ein bewährtes und mit nur sechs Items beziehungsweise Aussagen kurzes, aber validiertes Messinstrument ist dabei die Einsamkeitsskala von de Jong Gierveld und Kamphuis (1985). Diese Skala verzichtet explizit auf die Verwendung des Begriffs „Einsamkeit“, um zu vermeiden, durch damit verbundene Stigmatisierung das Antwortverhalten zu beeinflussen. Somit wird das Einsamkeitsempfinden nur indirekt erhoben. Dabei sind drei Items positiv formuliert und messen die soziale Komponente von Einsamkeit. In diesen Aussagen geht es darum, ob eine Person genügend Menschen kennt, die bei Bedarf soziale Unterstützung bieten können.
 
In der aktuellen WIdO-Studie stimmen 79 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass es genügend Menschen gibt, die bei Problemen helfen würden. Zwei Drittel der Befragten kennen viele Menschen, auf die sie sich wirklich verlassen können und 74 Prozent stimmen der Aussage zu, dass es genügend Menschen gibt, mit denen sie sich eng verbunden fühlen. Der Großteil der Befragten empfindet im Bereich soziale Einsamkeit also eher wenig Einschränkungen.
 
Die anderen drei Items der Skala sind negativ formuliert und erfassen die emotionale Dimension von Einsamkeit, also ob sich jemand einsam fühlt. Hierbei stimmen 70 Prozent der Aussage zu, Leute zu vermissen, bei denen sie sich wohlfühlen. Fast ein Viertel (24 Prozent) der Befragten gibt an, sich häufig im Stich gelassen zu fühlen und 41 Prozent geben an, Geborgenheit und Wärme zu vermissen.
 
Vor allem für die emotionale Einsamkeit zeigt sich außerdem, dass sie für etwa die Hälfte der Befragten während der Pandemie zugenommen hat. Hingegen geben etwa fünf Prozent der Befragten an, dass sich dieses Gefühl während der Pandemie verringert hat. Die soziale Einsamkeit wiederum hat nur für etwa ein Sechstel der Befragten durch die Pandemie zugenommen, wohingegen eine von zehn Personen auch angibt, dass die soziale Einsamkeit während der Pandemie abgenommen hat.

Ein Viertel der Befragten fühlte sich einsam.

Es wird häufig angenommen, dass Vereinsamung insbesondere im Alter zunimmt. Ältere Menschen, vor allem Frauen, leben meist alleine. Hinzu kommt, dass die sozialen Beziehungen unter anderem durch altersbedingte Todesfälle im Freundes-, Verwandten- und Bekanntenkreis abnehmen. Zudem können Einschränkungen in der Mobilität oder die Notwendigkeit eines Umzugs in eine Pflegeeinrichtung das Erleben von Einsamkeit fördern. Wegen der erhöhten Verletzlichkeit älterer Personen gegenüber schweren Verläufen von Covid-19 wurden diese zudem in den ersten Corona-Wellen besonders stark isoliert, zum Beispiel durch Besuchsverbote in Pflegeheimen. Dies legt die Vermutung nahe, dass Einsamkeit während der Pandemie vor allem in den höheren Altersgruppen stärker ausgeprägt sein sollte.

Grafik: Einsamkeit in der Pandemie – Darstellung eines Säulendiagramms mit Prozentzahlen nach Alter

In der Corona-Pandemie fühlten sich insbesondere Menschen aus den jüngeren und mittleren Altersgruppen einsam. So zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Online-Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK im Juli/August 2021, dass 30 Prozent der 18- bis 29-Jährigen unter Einsamkeit litten. Bei den über 70-Jährigen waren es lediglich 17 Prozent.

Quelle: WIdO 2022

In der vorliegenden Untersuchung zeigt sich, dass im Sommer 2021, als die dritte Welle gerade abgeklungen war, insgesamt fast jeder vierte Befragte von Einsamkeit betroffen war (siehe Grafik „Einsamkeit in der Pandemie: Jüngere sind stärker betroffen“). Einsamkeit betraf in dieser Stichprobe jedoch vor allem die Jüngeren und Menschen im mittleren Erwachsenenalter: Fast ein Drittel der unter 30-Jährigen gab an, sich einsam zu fühlen, aber nur 17 Prozent der Personen über 70 Jahren. Dies widerspricht der Annahme, dass Einsamkeit vor allem ein Problem der älteren Bevölkerung sei.
 
Diese Unterschiede der Einsamkeit in den verschiedenen Altersgruppen finden sich nicht nur in der vorliegenden Studie, sondern auch im Deutschen Alterssurvey, der im Längsschnitt Daten zur Lebenssituation von Menschen in der zweiten Lebenshälfte erhebt. Die simple These, Einsamkeit nehme mit steigendem Alter zu, greift also zu kurz.

Mehr Geld, weniger Einsamkeit.

Männer und Frauen waren von Einsamkeit gleichermaßen betroffen: Jeweils rund ein Viertel der Männer und Frauen gab an, sich einsam zu fühlen. Auch der Bildungsgrad spielt für das Erleben von Einsamkeit offenbar keine Rolle: Jeweils etwa ein Viertel der Personen mit einfacher, mittlerer und hoher Schulbildung gab an, einsam zu sein. Beim Haushaltsnettoeinkommen zeigten sich hingegen deutliche Unterschiede. So gaben 36 Prozent der Befragten mit einem Nettoeinkommen unter 1.500 Euro an, einsam zu sein, jedoch nur 16 Prozent mit einem Einkommen über 3.000 Euro. Dies mag daran liegen, dass während der Covid-19-Wellen mit höherem Einkommen andere Möglichkeiten zur Verfügung standen, der Einsamkeit entgegenzuwirken.
 
Ein weiterer Faktor, der für das Einsamkeitsempfinden eine Rolle spielte, ist die Haushaltsgröße. Die Einsamkeitsrate bei Befragten, die alleine wohnen, war deutlich höher als bei Menschen, die mit anderen zusammenleben (31 gegenüber 22 Prozent). Das Zusammenleben mit anderen kann also ein Schutzfaktor gegen Einsamkeit sein. Dennoch gab unter den Bewohnerinnen und Bewohnern in Mehrpersonenhaushalten jede fünfte Person an, Einsamkeit erlebt zu haben.

Eine Auswertung nach Regionen (städtische Räume, Regionen mit Verstädterungsansätzen und ländliche Gebiete) zeigt eine Einsamkeitsrate von 26 Prozent im städtischen Raum, 25 Prozent in der Stadtrandlage und 22 Prozent im ländlichen Raum. Das höhere Einsamkeitsrisiko von Menschen in den Städten ist möglicherweise auch auf den um einiges höheren Anteil Alleinlebender zurückzuführen (40 Prozent gegenüber 26 Prozent im ländlichen Raum).

Einfluss auf die subjektive Gesundheit.

Einsamkeit stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die körperliche und vor allem die psychische Gesundheit dar. In der vorliegenden Studie haben die Autoren deshalb verschiedene Bereiche der Gesundheit und der wahrgenommenen Belastung zum Erleben von Einsamkeit in Beziehung gesetzt.

Einsamkeit stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die körperliche und vor allem die psychische Gesundheit dar.

Dazu wurden die Teilnehmenden zunächst nach ihrer subjektiven Gesundheit gefragt. Die subjektive Gesundheit beschreibt, wie gesund sich eine Person fühlt, wie sie also ihre Gesundheit wahrnimmt. Vor allem im höheren Alter hängt die Bewertung der eigenen Gesundheit nicht so sehr von bestehenden Erkrankungen ab, sondern spiegelt eher die Lebensqualität und funktionalen Einschränkungen eines Menschen wider.

Pandemie belastet die Gesundheit von Einsamen.

Danach gefragt, wie sie ihren aktuellen Gesundheitszustand beschreiben würden, schätzten 58 Prozent der Befragten in der Stichprobe diesen als gut oder sehr gut ein. Es zeigten sich hier jedoch deutliche Unterschiede zwischen einsamen und nicht einsamen Menschen. So schätzten unter den nicht einsamen Befragten 63 Prozent ihre Gesundheit als gut oder sehr gut ein. Unter den einsamen Menschen waren es nur 41 Prozent (siehe Grafik „Einsamkeit verschlechtert das subjektive Gesundheitsempfinden“). Weiter wurden die Teilnehmenden danach gefragt, inwieweit sie sich durch die Covid-19-Pandemie gesundheitlich belastet gefühlt haben. Hier gab unter den nicht einsamen Menschen jeder fünfte (22 Prozent) an, sich stark oder sehr stark belastet gefühlt haben. Unter den einsamen Personen lag diese Rate bei 42 Prozent, also fast doppelt so hoch.

Gesundheitszustand von Einsamen leidet stärker.

Die Teilnehmenden wurden zudem gefragt, inwieweit die Covid-19-Pandemie verschiedene Aspekte des eigenen Lebens beeinträchtigt hat. Der Gruppenvergleich zeigt, dass sich bei deutlich mehr einsamen als nicht einsamen Menschen ihr Gesundheitszustand in der Pandemie nach eigener Auskunft stark oder sehr stark verschlechtert hat.

Während dies sieben Prozent der nicht einsamen Menschen bejahen, sind es bei den einsamen Personen 20 Prozent. Gefragt nach Arztbesuchen, gaben doppelt so viele der einsamen wie der nicht einsamen Menschen an, weniger zum Arzt gegangen zu sein (32 gegenüber 14 Prozent), beziehungsweise Schwierigkeiten bei der Erreichbarkeit eines Arztes gehabt zu haben (24 gegenüber elf Prozent). Am größten ist der Unterschied zwischen nicht einsamen und einsamen Menschen bei der Beeinträchtigung der Lebensfreude durch die Pandemie (23 gegenüber 54 Prozent). Frauen und Jüngere (unter 30 Jahre) geben in beiden Teilgruppen deutlich häufiger an, durch die Pandemie negativ, aber auch positiv beeinflusst worden zu sein an als Männer und ältere Menschen.

Unterschiede bei riskantem Verhalten.

Neben der Wahrnehmung der Gesundheit haben die Studienautoren nach dem aktuellen Gesundheitsverhalten sowie der subjektiven Veränderung im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie gefragt. Hierbei zeigte sich für den Bereich Sport, Fitness und körperliche Aktivität nur ein geringer Unterschied zwischen nicht einsamen und einsamen Personen. Während in beiden Gruppen rund ein Fünftel angab, mehr Zeit mit Sport zu verbringen als vor der Pandemie, gaben gleichzeitig bei den nicht einsamen Personen fast jede fünfte Person (18 Prozent) und bei den Einsamen sogar fast jede dritte Person (30 Prozent) an, jetzt weniger Zeit mit Sport zu verbringen als vor der Pandemie.

Grafik zum subjektiven Gesundheitsempfinden während der Corona-Pandemie mit Balkendiagramm und Prozentzahlen

Einsamkeit beeinflusst sowohl den aktuellen Gesundheitszustand als auch die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheit negativ. So beschrieben in einer repräsentativen Online-Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK im Juli/August 2021 lediglich acht Prozent der einsamen Menschen ihren aktuellen Gesundheitszustand als „sehr gut“, während es unter den nicht-einsamen 13 Prozent waren. Unter den Einsamen haben sich demnach 35 Prozent durch die Pandemie gesundheitlich stark belastet gefühlt. Bei den Nicht-Einsamen waren es lediglich 19 Prozent.

Quelle: WIdO 2022

Zudem gaben die Befragten Auskunft zu riskanten Gesundheitsverhaltensweisen. So fanden sich in beiden Gruppen etwa ein Drittel Raucher: Dabei gaben aber mit 28 Prozent doppelt so viele einsame wie nicht einsame Menschen an, mehr zu rauchen als vor der Pandemie.
 
Beim Alkoholkonsum zeigt sich ein sehr ähnliches Muster. In beiden Gruppen berichtete ein Großteil, mindestens gelegentlich Alkohol zu konsumieren (83 Prozent der nicht einsamen und 81 Prozent der einsamen Personen). Auch beim Alkoholkonsum waren es doppelt so viele (17 Prozent) einsame wie nicht einsame Frauen und Männer, die nach eigener Auskunft mehr Alkohol als vor der Pandemie zu konsumieren. Gleichzeitig nahm demnach in beiden Gruppen jeweils ein Fünftel der Befragten weniger Alkohol zu sich als vor der Pandemie.

Einsamkeit verändert Verhalten zum Negativen.

Auch beim Gebrauch von Cannabis und leistungssteigernden oder beruhigenden Arzneimitteln zeigt sich eine deutlichere Zunahme im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie in der Gruppe der Einsamen gegenüber den Nicht-Einsamen: für Cannabis 34 gegenüber 16 Prozent bei den nicht einsamen Menschen und für Arzneimittel 37 gegenüber 28 Prozent bei den nicht einsamen Menschen.
 
Der Corona-bedingte Bewegungsmangel macht sich auch auf der Waage bemerkbar. In der Gruppe der Nicht-Einsamen gab ein Drittel (32 Prozent) an, seit Beginn der Pandemie zugenommen zu haben (bei einer durchschnittlichen Zunahme von 6,3 Kilogramm). Bei Einsamen war der Anteil der Befragten mit einer Gewichtszunahme größer (44 Prozent) und auch die jeweilige Zunahme höher (durchschnittlich 8,1 Kilogramm). Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass sich einsame und nicht einsame Menschen in den meisten der erfragten Gesundheitsverhaltensweisen wenig unterscheiden. Auffällig sind aber die Veränderungsraten: Bei deutlich mehr einsamen als nicht einsamen Menschen haben sich die Verhaltensweisen während des ersten Jahres der Pandemie zum Negativen verändert.

Ältere Menschen profitieren von Krisenerfahrung.

Entgegen der landläufigen Vorstellung, Einsamkeit sei hauptsächlich ein Problem des höheren Lebensalters, zeigt die vorliegende Studie, dass gerade ältere Menschen im ersten Jahr der Pandemie über weniger Einsamkeit berichten als junge und Menschen im mittleren Erwachsenenalter. Dies mag zum einen daran liegen, dass ältere Menschen weniger von Einschränkungen betroffen waren, die für jüngere Menschen und ihr Einsamkeitsempfinden wahrscheinlich von größerer Bedeutung waren: Die Schließung von Freizeiteinrichtungen, aber auch das Studium von zu Hause aus oder die Homeoffice-Regelungen trugen zur Isolation vornehmlich Jüngerer bei. Gleichzeitig haben ältere Menschen bereits Erfahrung im Überstehen von Krisen, auf gesellschaftlicher wie auf individueller Ebene. Diese Resilienz mag dabei geholfen haben, sich von den pandemiebedingten Einschränkungen nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Das spiegelt sich möglicherweise in einem geringeren Einsamkeitsempfinden wider.

  • Klaus Zok: Gesundheitsverhalten und Erfahrungen mit der amulant-ärztlichen Versorgung während der Covid-19-Pandemie. WIdOmonitor 2/2021, Berlin. Download
  • Oliver Huxhold, Heribert Engstler, Elke Hoffmann: Entwicklung der Einsamkeit bei Menschen im Alter von 45 bis 84 Jahren im Zeitraum von 2008 bis 2017. Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin, 2019. Download
  • Oliver Huxhold, Clemens Tesch-Römer: Einsamkeit steigt in der Corona-Pandemie bei Menschen im mittleren und hohen Erwachsenenalter gleichermaßen deutlich. Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin, 2021. Download
  • Clemens Tesch-Römer, Maja Wiest, Susanne Wurm, Oliver Huxhold: Einsamkeit-Trends in der zweiten Lebenshälfte: Befunde aus dem Deutschen Alterssurvey (DEAS). In: informationsdienst altersfragen, Heft 01/2014. Download

Bezogen auf Gesundheit und Belastungsempfinden zeigte sich, dass Einsamkeit hier durchaus eine erhöhte Vulnerabilität bedeuten kann: Einsame Menschen fühlten sich subjektiv weniger gesund und auch durchweg von der Pandemie stärker belastet als Menschen, die sich nicht einsam fühlten. Dabei lässt sich aufgrund der vorliegenden querschnittlichen Befunde nicht sagen, ob Einsamkeit während der Pandemie zu einer schlechteren Gesundheit geführt hat oder ob eine schlechte Gesundheit Einsamkeit befördert hat. In der Zusammenschau von quer- und längsschnittlichen Studien, die Menschen teilweise über einen längeren Zeitraum begleitet haben, zeigt sich jedoch, dass das Erleben von Einsamkeit im Zeitverlauf zu einer schlechteren Gesundheit beiträgt. Gleichzeitig fördert eine schlechte Gesundheit das Gefühl von Einsamkeit. Beispielsweise könnte eine eingeschränkte Mobilität dazu führen, dass soziale Kontakte immer mehr nachlassen.

Suchtmittelkonsum als Bewältigungsstrategie.

Auch für Veränderungen im Gesundheitsverhalten spielte Einsamkeit eine Rolle. Deutlich mehr einsame als nicht einsame Menschen berichteten in der vorliegenden Studie, mehr gesundheitsschädliche Verhaltensweisen wie Rauchen oder Alkoholkonsum an den Tag zu legen als vor der Pandemie. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass einsame Menschen während der Pandemie eher Suchtmittelkonsum als Bewältigungsmechanismus nutzten als weniger einsame Menschen. Hierin liegt eine ernstzunehmende gesundheitliche Gefahr, vor allem, wenn die Betroffenen diesen Konsum nicht wieder reduzieren.
 
Gleichzeitig bleibt auch festzuhalten, dass es ebenso einsame wie nicht einsame Menschen gibt, die ihr Gesundheitsverhalten im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie verbessert haben. Und immerhin 13 Prozent der einsamen wie nicht einsamen vor allem jungen Menschen nehmen auch neue Chancen und Perspektiven wahr, die die Pandemie eröffnet hat – Einsamkeit ist also kein Hinderungsgrund für eine positive Einstellung.

Studie bestätigt empirische Befunde.

Auch wenn die Befragten in der vorliegenden Studie zur besseren Darstellung mithilfe eines validierten Instrumentes lediglich in zwei Gruppen („einsam“ und „nicht einsam“) aufgeteilt wurden, bestätigen die empirischen Befunde bisheriges Wissen zu Zusammenhängen von Einsamkeit mit Gesundheit während der Covid-19-Pandemie. Einsamkeit ist jedoch graduell: Menschen können mehr oder weniger einsam sein und dieses Gefühl kann auch je nach Situation wechseln. Dennoch ist andauernde Einsamkeit ein ernstzunehmendes individuelles und gesellschaftliches Problem, das zu Recht – vor allem in pandemischen Zeiten – die Aufmerksamkeit der Forschung wie der Politik auf sich zieht.

Literatur bei den Verfassern

Klaus Zok ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Gesundheitspolitik/Systemanalysen am Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO).
Anne Blawert ist Postdoktorandin in der Abteilung für Präventions­forschung und Sozialmedizin an der Universität Greifswald.
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