Medizinprodukte

Längere Zertifizierungsfristen geplant

Die EU will Übergangsfristen zur Neuzertifizierung von Medizinprodukten verlängern, um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Die Krankenkassen warnen davor, die verbesserten Standards für mehr Patientensicherheit auszuhebeln. Von Thomas Rottschäfer

Rund eine halbe Million Medizinprodukte

ist in der Europäischen Union in Umlauf – vom Heftpflaster bis zum Herzschrittmacher. Spätestens bis zum 26. Mai 2024 müssten alle diese Pro­dukte neu zertifiziert worden sein. So sieht es die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) vor. Doch die mit der Zertifizierung beauftragten „Benannten Stellen“ sind nach einem Bericht der EU-Kommission erheblich hinter dem Zeitplan zurück. Deshalb hat die Kommission Anfang Januar vorgeschlagen, die Übergangsfristen um teilweise mehr als vier Jahre zu verlängern. Betroffen sind Bestandsprodukte, die bereits vor dem Inkrafttreten der EU-Medizinprodukte­verordnung über eine Konformitäts­bescheinigung verfügten.

Neuen Zeitplan vorgeschlagen.

Das Papier der Kommission sieht vor, die Zertifizierung von Produkten mit höherem Risiko (zum Beispiel Herzschrittmacher und Hüftimplantate) bis Ende 2027 und für Produkte mit mittlerem und geringerem Risiko (Spritzen oder wiederverwendbare chirurgische Instrumente) bis Ende 2028 zu verlängern. Für implantierbare Sonderanfertigungen der höchsten Risikoklasse III soll der Übergangszeitraum bis zum 26. Mai 2026 verlängert werden. Überdies will die Kommission die bislang vorgesehene Frist zum Ab­verkauf („Sell-Out-Date“) der nach altem Recht zugelassenen Produktbestände streichen.
 
In der Begründung des Vorschlags heißt es: „Nach einer Schätzung, die die Benannten Stellen der Koordinierungsgruppe Medizinprodukte am 17. November 2022 vorgelegt haben, könnte die Zahl der bis Mai 2024 ausgestellten Bescheinigungen etwa 7.000 betragen, wenn die derzeitige Geschwindigkeit der Ausstellung von Bescheinigungen unver­ändert bleibt und sich die derzeitigen Bedingungen nicht ändern.“ Die Be­nannten Stellen seien nach jetzigem Stand in der Lage, die notwendigen Neuzertifizierungen „möglicherweise bis Dezember 2027“ abzuschließen. Dies stehe „in krassem Gegensatz“ zu den 21.376 noch gültigen Bescheinigungen, die bis zum 26. Mai 2024 ablaufen. 36 Benannte Stellen – darunter in Deutschland die TÜV-Organisationen und die Dekra – waren zu Jahresanfang im Einsatz, für 26 weitere Stellen lief noch das Anerkennungsverfahren.

Im August vergangenen Jahres hatte EU-Gesundheitskommissarin Stella ­Kyriakides versucht, die Zertifizierungsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Doch der Druck aus Wirtschaft und Politik nahm stetig zu. Zum Wortführer avancierte der CDU-Europa­abgeordnete und gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Dr. Peter Liese. Er warnte mehrfach vor „lebens­gefährlichen Versorgungsengpässen. Im Dezember forderte dann auch der Rat der EU-Gesundheitsminister die Kommission zum Handeln auf.

Qualität und Sicherheit sind das A und O.

Der durch die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherungen (DSV) in Brüssel vertretene Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hält die befristete Verlängerung von Übergangs­fristen „für sinnvoll, um Engpässen entgegenzuwirken“. Richtschnur bleibe aber die Patientensicherheit: „Es ist elementar, dass keine Sicherheits- und Qualitäts­anforderungen der MDR abgeschwächt werden.“ In der Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag pocht die DSV auf die vorgesehenen strengen Bedin­gungen zur Sicherheit und Qualität von Medizinprodukten: „Danach dürfen Hersteller nur von Fristverlängerungen profitieren, wenn sie unter anderem nach­weisen können, dass ein Antrag auf Konformitätsbewertung gemäß der MDR vor Ende Mai 2024 gestellt wurde, das betreffende Medizinprodukt nicht wesentlich verändert wurde und es keine unannehmbaren Gesundheitsrisiken birgt.“

Der Europäische Rat und das Europa­parlament müssen dem Kommissionsvorschlag noch zustimmen. Wegen der Dringlichkeit ist ein beschleunigtes Mit­entscheidungsverfahren vorgesehen.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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