Bunt zusammengesetzte Teams sind auch für die Pflegebranche von Vorteil.
Betriebliche Gesundheitsförderung

Pflege profitiert von Vielfalt

Diversität ist ein Erfolgsfaktor für die Pflegebranche. Damit die dort beschäftigten Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können, müssen sie sich mit allen Eigenschaften akzeptiert fühlen. Ein Projekt der AOK macht sich dafür stark. Von Maria Sinjakowa

Der Pflegebranche fehlen

schon seit Jahren Fachkräfte. Deshalb werben Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser gezielt ältere Beschäftigte, Menschen mit Mi­grationshintergrund oder Quereinsteiger an. Bunt zusammengesetzte Teams spielen in der Pflege eine immer größere Rolle. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren 2021 in der Pflegebranche 218.000 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit beschäftigt. Das sind gut 13 Prozent aller professionell Pflegenden in Deutschland. Vielfalt bezieht sich jedoch nicht nur auf die Herkunft und den kulturellen Hintergrund. Sie spiegelt sich ebenso wider in Geschlecht, religiöser Zugehörigkeit, Lebensmodellen, Identität, Bildung oder Gesundheit.

Diskriminierung im Arbeitsleben.

Jede Person hat ihre eigene, individuelle Kombination dieser Merkmale. Im Arbeits­leben erfahren Menschen nach wie vor Benachteiligungen, die darauf gründen. 2021 wurden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes insgesamt 5.617 Fälle gemeldet, die mit einem im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannten Diskriminierungsgrund zusammen­hingen.

Porträt von Werner Winter, verantwortet „BGF in der Pflege“ im AOK-Bundesverband

Interview: „Belegschaften werden vielfältiger“

Werner Winter erläutert im G+G-Interview, welche Rolle Diversität in der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) spielt. Er verantwortet „BGF in der Pflege“ im AOK-Bundesverband.

Davon bezogen sich 37 Prozent der Fälle auf rassistische Diskriminierung, 32 Prozent auf Behinderung und chronische Krankheiten. Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts machten 20 Prozent und aufgrund des Alters zehn Prozent aus. Neun Prozent bezogen sich auf Religion und Weltanschauung und vier Prozent auf die sexuelle Identi­tät. Mit 28 Prozent kamen die meisten Diskriminierungserfahrungen im Arbeits­leben vor.

Auch andere Untersuchungen legen nahe, dass es in deutschen Unternehmen beim Thema Diversität Nachholbedarf gibt. Eine Studie des Beratungsunternehmens Boston Consulting Group zeigte beispielsweise: Wer nicht hetero­sexuell ist, hält das hierzulande am Arbeitsplatz in der Regel geheim.

Diversität fördert Innovationen.

Dabei kann Diversität den Unternehmen viele Vorteile bringen. Dafür müssen sie aber den Wissensschatz aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen, persönlichen und beruflichen Erfahrungen sowie Herangehensweisen für sich zu nutzen wissen. Die vielfältigen Kenntnisse können nicht nur die Arbeit bereichern, sondern auch helfen, unterschiedlichen Bedürfnissen von pflegebedürftigen und kranken Menschen besser gerecht zu werden.

„Ich mache mit, weil trotz unterschiedlicher Interessen die Herausforderungen nur gemeinsam zu bewältigen sind.“

Lissy Nitsche-Neumann

Neben Wissen und Erfahrungen bringt eine vielfältige Belegschaft auch mehr Meinungen und Perspektiven in den Pflegealltag. Diverse Teams kommen häufiger zu neuen Lösungen, weil sie unterschiedliche Ansätze verfolgen. Das belegen Studien wie die von McKinsey aus dem Jahr 2020, die den Zusammenhang zwischen Diversität und Unter­nehmenserfolg herstellte.

Demnach haben Unternehmen mit hoher Gender-Diversität eine um 25 Prozent größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Der Faktor der ethnischen Diversität (Internationalität des Vorstands) erhöht diese Wahrscheinlichkeit sogar um 36 Prozent, so die Studie, in die Daten von mehr als 1.000 Unternehmen aus 15 Ländern eingeflossen sind.

Untersuchungen zeigen, dass Menschen mehr Spaß bei der Arbeit haben, innovativer sind und bessere Ergebnisse liefern, wenn sie mit all ihren Merkmalen akzeptiert werden und bestimmte Seiten ihrer Persönlichkeit, etwa Homosexualität oder Behinderung, nicht verstecken müssen.

„Diversität ist wichtig für den Pflegeberuf, weil wir immer voneinander lernen können. Wissensaustausch kommt allen zugute!“

Faye Jansen

Unternehmen, die Vielfalt fördern, haben in der Regel somit bei der Bindung und Gewinnung von Fachkräften, aber auch von Kundinnen und Kunden, bessere Chancen. Diversität ist also ein Erfolgsfaktor für die Pflegebranche.

Vielfalt gut gestalten.

Damit sich diese Vorteile entfalten können, ist es notwendig, Vielfalt gut zu gestalten. Ein wertschätzender Umgang mit den Unterschieden ist dabei das A und O. Geschäftsführung und Führungskräfte haben die Aufgabe , die vielfältigen Fähigkeiten und Ressourcen der Beschäftigten als Potenziale zu erkennen, diese gezielt einzusetzen und zu fördern. Fachleute sprechen hier von Diversity-Management. Dazu zählen etwa Arbeits­modelle, die sich an Lebensphasen orientieren, gendergerechte Führung, Konzepte des lebenslangen Lernens oder eine Willkommenskultur.

„Diversität in der Pflege ist wichtig, da nur so die individuellen Bedürfnisse in einer diversen Gesellschaft erfüllt werden können und Diversität auf allen gesellschaftlichen Ebenen gelebt werden muss, auch in der Gesundheitsversorgung.“

Johannes Bitzinger

Bei der Zusammenarbeit in einem Team kann Diversität zu Missverständnissen führen. Es ist nicht selten, dass dabei auf überkommene Stereotypen zurückgegriffen wird. Etwa: Männer inte­ressieren sich nicht für die Belange anderer Menschen. Oder: Ältere Menschen wollen keine Veränderungen. Umso wichtiger ist es, im Diversity-Management neue Perspektiven zu eröffnen. An diesem Prozess müssen sich alle beteiligen. Es geht darum, zu verstehen und zu erkennen, welchen Nutzen ein wertschätzender Umgang nicht nur für das Unternehmen, sondern für jede einzelne Person hat. Dazu gehört auch, sich über Vorurteile im Klaren zu sein und diese gezielt abzubauen.

Schnittstellen zur Gesundheitsförderung.

Der Nutzen, den die Pflegebranche aus Diversity-Management zieht, geht über einen rein ökonomischen hinaus. Wer sich um einen bewussten Umgang mit Vielfalt bemüht, beugt Konflikten vor, verbessert das Betriebsklima und fördert die Arbeitszufriedenheit. Hier ergeben sich Schnittstellen zur Betrieblichen Gesundheits­för­de­rung (BGF). Auch BGF zielt darauf ab, Ressourcen und Fähigkeiten der Beschäftigten wertzuschätzen und zu fördern, sowie ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen gesund und lange arbeiten.

Allerdings sind BGF-Ansätze, die die Heterogenität der Belegschaften berücksichtigen, noch nicht ausreichend bekannt. Zwar gibt es Modelle guter Praxis, die sich mit einzelnen Merkmalen wie Förderung von Frauen oder altersgerechtem Arbeiten beschäftigen. Künftig gilt es, in der BGF alle Formen von Vielfalt stärker in den Blick zu nehmen.

Um das Thema voranzutreiben, haben der AOK-Bundesverband und die AOKs im Rahmen der Initiative „Pflege.Kräfte.Stärken.“ Diversität auf die Agenda gesetzt. Gemeinsam wollen sie informieren, warum es sich für Unternehmen lohnt, Vielfalt und BGF miteinander zu verknüpfen, sowie vielversprechende Ansätze vorstellen. Auch der diesjährige BGF-Preis Gesunde Pflege widmet sich dem Thema Diversität.

Quelle der Zitate: Mitmachaktion der AOK „Zeig Gesicht für Diversität“

Maria Sinjakowa ist verantwortliche Redakteurin im KomPart-Verlag.
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