Jahr für Jahr gibt es mehr Pflegebedürftige. Doch das Thema Pflege nimmt aus Sicht der Befragten in der Politik zu wenig Raum ein.
Online-Umfrage

Pflege sieht Politik in der Pflicht

Die Stimmung in der Pflegebranche ist so schlecht wie in den letzten fünf Jahren nicht mehr. Das belegt der aktuelle Care-Klima-Index, der jährlich Entwicklungen und Tendenzen im Pflegemarkt untersucht. Von Tina Stähler

Die Menschen in Deutschland

werden immer älter. Somit steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen an. Bis 2060 könnte sie sich auf über sechs Millionen erhöht haben. Dennoch nimmt das Thema Pflege auf der politischen Agenda zu wenig Raum ein. Das belegt der fünfte Care-Klima-Index. 80 Prozent der Befragten stuften den politischen Stellenwert der Pflege im Vergleich zu anderen Themen als niedriger ein. Das sind so viele wie seit 2017 nicht mehr.

Seit fünf Jahren gibt der Care-Klima-Index Hinweise auf die Stimmung in der Pflegebranche. Befragt werden Per­so­nen, die selbst Pflege benötigen oder einen pflegerelevanten Beitrag leisten. Dazu gehören professionell Pflegende, Pflegehaushalte, Haus-, Fach- und Zahnärzte, Apotheker, Kostenträger mit Pflegestützpunkten, Arbeitgeber in der Pflege, Wirtschaftsunternehmen, Kommunen und Verbände.

Kompetenzerweiterung gefordert.

Im Vergleich zum Vorjahr stieg die negative Wahrnehmung der Pflegenden zu den eigenen Arbeitsbedingungen an: Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Berufsgruppe Pflege sowie der außenstehenden Personen (59 Prozent) beurteilten die Arbeitsbedingungen als „schlecht“. Nur jeder Zehnte attestierte seiner Profession „hochwertige Pflege“. Im Gegensatz dazu stand die Bewertung der Pflege zu Hause: Hier lobte jeder zweite Angehörige (56 Prozent) die eigene beziehungsweise die häusliche Pflege.

Knapp drei Viertel der Befragten (72 Prozent) sprachen sich für eine Kompetenzerweiterung der Berufsgruppe Pflege aus. Generell sahen die Befrag­ten die Pflegeversorgung der Zukunft kritisch: Jeder zweite Studienteilnehmer (51 Prozent) hegte Zweifel, dass die Pflege­versorgung in den kommenden zehn Jahren sichergestellt werden könne. Dies entspricht dem negativsten Wert seit fünf Jahren aus Sicht aller Befragten. Die Berufsgruppe Pflege ist mit sieben von zehn Befragten (70 Prozent) diesbezüglich besonders pessimistisch.

Ergebnisse belegen Dringlichkeit.

„Der Care-Klima-Index kann als jährlicher Indikator oder eine Art Frühwarnsystem gesehen werden, um pflegerelevante Strategien gegebenenfalls nachzujus­tieren und auf aktuelle Bedürfnisse anzupassen“, erklärt Stephanie Hollaus, Leiterin des Bereichs Pflegemarktforschung beim Marktforschungsinstitut Ipsos, das die Befragung jährlich durchführt. „Denn was bringen die besten Gesetzesänderungen und Maßnahmen, wenn sie auf Seiten der Betroffenen keine spürbaren Veränderungen nach sich ziehen? Die Ergebnisse zeigen die Dringlichkeit auf, mit der das Fun­dament für eine gesicherte Pflege in Deu­tschland zeitnah gegossen werden muss.“

„Anstatt die Pflegenden in diesen herausfordernden Zeiten zu entlasten, werden ihnen immer mehr Aufgaben, teilweise mit monetären Incentives, übertragen“, warnt Nadine-Michèle Szepan, Leiterin der Abteilung Pflege im AOK-Bundesverband. „Die Politik sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Vereinbarungen der Konzertierten Aktion Pflege sind hierfür ein guter Fahrplan.“

Experten entwickeln Fragen.

Das Pflege-Klima bleibt nach Auswertung der Befragung auch in diesem Jahr unterhalb der Hundertergrenze. Der Gesamtwert fiel von 94.7 Punkten aus dem Vorjahr auf aktuell 93.2 Punkte. Die Fragen entwickelt Ipsos jedes Jahr gemeinsam mit einem Expertenbeirat.

Dazu werden die Befragten gebeten, ihre Einschätzung zu verschiedenen Themen abzugeben. Ihnen werden kurze prägnante Fragen gestellt, auf die mittels Dreier-Skala geantwortet wird. Aus der Differenz der Anteile zustimmender und ablehnender Antworten wird ein Saldo gebildet. Zusätzlich wirkt der Anteil neutraler Antworten dämpfend auf den Saldo aus zustimmenden und ablehnenden Antworten.

Tina Stähler ist Redakteurin der G+G.
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