Interview

„Die meisten sind ziemlich zufrieden“

Auf einer Skala von eins bis zehn stufen Menschen in Deutschland ihre Lebenszufriedenheit bei 7,4 ein, berichtet Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Martin Schröder. Arbeitslosigkeit oder Krankheit können das Stimmungsbild trüben.

Herr Professor Schröder, Krisen beherrschen die Schlagzeilen und die Köpfe. Warum sind Sie trotzdem ein Optimist?

Martin Schröder: Ich selber würde mich gar nicht so sehen. Ich analysiere Daten und berichte darüber. Ein Blick auf die wichtigsten Daten offenbart positive Entwicklungen. Ein Beispiel: Vor 40 Jahren lebte fast jeder zweite Mensch in extremer Armut, heute ist es nur noch jeder zehnte Mensch. Das ist eine unglaubliche Verbesserung. Das gab es in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nicht.

Porträt von Martin Schröder, Sozialwissenschaftler

Zur Person

Prof. Dr. Martin Schröder ist Professor für Soziologie an der Universität des Saarlandes. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört Lebensqualität im internationalen Vergleich. Zur Thematik veröffentlichte er die Bücher „Warum es uns noch nie so gut ging“ und „Wann sind wir wirklich zufrieden?“

Aber das Empfinden der Bevölkerung in Deutschland ist ein anderes?

Schröder: Das Empfinden ist demgegenüber geradezu absurd. Zum Beispiel sagen in der allgemeinen Bevölkerungsumfrage in den Sozialwissenschaften 30 bis 40 Prozent der Menschen: Die Welt ist so schlimm, dass man es nicht verantworten kann, Kinder zu bekommen. Immer schon dachten die Menschen: Jetzt gerade ist es ganz furchtbar. Nur die Gründe ändern sich. In den 60er-Jahren dachte man: In zehn Jahren sterben Milliarden von Menschen in Hungerkatastrophen. In den 80er-Jahren dachte man: Bald steht kein einziger Baum mehr in Deutschland. In den 90er-Jahren erwartete man katastrophale Computerprobleme. In den Nullerjahren war es dann der Terrorismus.

Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Schröder: Weil Zeitungen jeden Tag oder jede Woche erscheinen, richtet sich ihr Blick eher auf Ereignisse als auf Trends. Wir erfahren also beispielsweise, dass ein Flugzeug abgestürzt ist, aber nicht, dass Fliegen in den letzten 80 Jahren 1.800-mal sicherer geworden ist. Wir erfahren von einem Terroranschlag, aber nicht, dass es in den 70er- und 80er-Jahren auch in Deutschland viel mehr Terrortote gab als seit dem Jahr 2000. Die langfristigen Trends hinter den Ereignissen sind fast immer positiv. Ausnahmen bilden das Artensterben, der Klimawandel oder die Einkommen der Mittelschicht in entwickelten Ländern.

Gesundheit ist unfassbar wichtig für die Lebenszufriedenheit.

Sie haben das sozioökonomische Panel hinsichtlich der Lebenszufriedenheit ausgewertet. Mit welchem Ergebnis?

Schröder: Das Interessante ist, dass die allermeisten Menschen in Deutschland mit ihrem Leben ziemlich zufrieden sind. Auf einer Skala von eins bis zehn liegt der Durchschnittswert aktuell etwa bei 7,4. Die Hälfte gibt sich auf der Zehnerskala sogar eine 8, 9 oder 10. 90 Prozent aller Befragten sagen, dass es ihnen selber materiell gut geht. Allerdings denken sie, sie selbst seien die positive Ausnahme in einer Welt, in der es allen anderen schlecht geht.

Wovon hängt die Zufriedenheit ab?

Schröder: Es gibt nicht den einen Grund. Reichtum garantiert eine halbwegs zufriedene Bevölkerung. Kein einziges reiches Land auf der Welt hat eine Bevölkerung, deren Zufriedenheit unter 6,5 Punkten liegt. Aber es gibt auch einige arme Länder, deren Bevölkerung gar nicht so unzufrieden ist. Ganz starke Effekte haben soziale Kontakte. Sie finden so gut wie keinen Menschen, der sagt: Ich bin zwar einsam, aber zufrieden. Einen der stärksten negativen Einflüsse auf die Lebenszufriedenheit hat die Arbeitslosigkeit. Arbeitslos zu werden, kostet auf der Zehnerskala ungefähr einen Punkt. Schlechter Schlaf oder Krankheitsgefühl sind auch ein Desaster für die Lebenszufriedenheit. Menschen, die sich schon immer als sehr ungesund eingestuft haben, erreichen auf der Zehnerskala der Lebenszufriedenheit im Schnitt vier Punkte weniger. Gesundheit ist unfassbar wichtig für die Lebenszufriedenheit.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: Studio Schloen