Austausch per Videokonferenz: Damit ist die Selbsthilfe inzwischen vertraut.
Selbsthilfe

Upgrade auf ein neues Level

Ausbau digitaler Möglichkeiten und viele neue Gruppen: Die Selbsthilfe hat in der Corona-Pandemie eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. Diese Erfahrungen standen im Mittelpunkt einer Tagung des AOK-Bundesverbandes. Von Otmar Müller

Die Kontaktbeschränkungen

zu Beginn des ersten Pandemiejahres sorgten dafür, dass sich auch Selbsthilfegruppen über einen längeren Zeitraum nicht mehr treffen konnten. Vor allem psychisch erkrankte und suchtkranke Menschen litten unter der pandemiebedingten Isolation. Mit innovativen Ideen und dem Einsatz digitaler Technik suchte die Selbsthilfe deshalb nach Lösungen, den Kontakt untereinander zu halten und die Selbsthilfearbeit fortzuführen.

Inwieweit das gelungen ist, war das zentrale Thema der diesjährigen virtuellen AOK-Selbsthilfe-Fachtagung. Claudia Schick, Selbsthilfereferentin beim AOK-Bundesverband, erinnerte in ihrem Grußwort an die Tagung vor drei Jahren, auf der es um die Digitalisierung ging: „Hätte mir damals jemand gesagt, dass es normal sein wird, dass sich Selbsthilfegruppen in digitalen Räumen treffen, Seminare oder Workshops per Zoom stattfinden und Beschlüsse auf Mitgliederversammlungen virtuell abgestimmt und verabschiedet werden – ich hätte ihn für seinen umwerfenden Optimismus bewundert.“

Klassische Aktivitäten beibehalten.

Über die Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Selbsthilfe referierte der Sozialforscher Dr. Christopher Kofahl. In seinem Vortrag stellte der stellvertretende Leiter des Instituts für Medizinische Soziologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf die Ergebnisse der DISH-Studie (Digitalisierung in der Selbsthilfe) vor. Die vergangenen zwei Jahre hätten deutlich gemacht, dass die Digitalisierung keineswegs eine disruptive – also die klassischen Selbsthilfe-Aktivitäten verdrängende – Wirkung habe.
 
Aus der Praxis einer Selbsthilfeorganisation wie dem Mukoviszidose e. V. berichtete Winfried Klümpen. Da die Mukoviszidose eine Lungenerkrankung ist, seien die Betroffenen zu Beginn der Pandemie extrem verunsichert gewesen, so der Sprecher der Geschäftsführung und Leiter des Fachbereichs Hilfe zur Selbsthilfe und Vereinsangelegenheiten. Die Geschäftsstelle sei täglich über viele Stunden förmlich überrollt worden mit Fragen. Sein Verein reagierte mit Fakten, gründete eine Corona-Task-Force, die sich laufend auf den neuesten Stand brachte. Eine Info-Hotline für die Mitglieder sorgte dafür, dass alle Fragen beantwortet wurden, soweit man sie beantworten konnte. Parallel veröffentlichte der Verein auf seiner Website die Antworten auf häufig gestellte Fragen.

Erfahrungen mit Post Covid.

Welche Folgen eine Covid-19-Erkrankung haben kann, machte auf eindrückliche Weise Pia Chowdhury deutlich. Die 41-Jährige hatte sich zu Beginn der Pandemie angesteckt und leidet bis heute unter den Folgen. Drei Monate nach ihrer Infektion gründete sie in Bonn die Selbsthilfegruppe „Post Covid – Genesen und doch nicht gesund“. Mindestens ebenso berührend wie der Bericht über ihre gesundheitlichen Probleme waren die Schilderungen über den Umgang der Ärzte mit ihr oder anderen Gruppenmitgliedern. „Von Ärzten ausgelacht oder angeschrien zu werden sind Erfahrungen, die man gerade in einer solchen Verfassung erstmal nicht so leicht seelisch weggepackt bekommt“, so Chowdhury.

AOK-Bundesverband: Dossier Selbsthilfe

Mit den Referenten und Tagungsteilnehmern diskutierte Jutta Hundertmark-Mayser, stellvertretende Geschäftsführerin der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) die Ergebnisse der Fachtagung und schilderte ihre eigenen Pandemie-Erfahrungen. Sie betonte, dass sich in der Corona-Pandemie signifikant mehr neue Gruppen zusammengefunden hätten – gerade unter jungen Menschen.

Nächste Tagung wird hybrid.

In ihrem Fazit mit Eindrücken aus den Workshops betonte AOK-Expertin Schick, dass die Selbsthilfe in der Pandemie noch vielfältiger und bunter geworden sei und dass für viele Menschen die neuen digitalen Angebote nicht mehr wegzudenken seien. Für sie selbst sei deshalb klar, „dass die nächste Tagung hybrid stattfindet – also hoffentlich wieder in Präsenz, aber auf jeden Fall mit der Möglichkeit der digitalen Teilnahme“.

Otmar Müller hat in Köln ein Medienbüro mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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