Für Sie gelesen 4

Cover des Buches
Pflegewissenschaft

Aufgerieben bei der Angehörigen-Pflege

Viele pflegende Angehörige sind erwerbstätig und stehen damit im Spannungsfeld ­zweier knapper Ressourcen – dem Sorgepotenzial einerseits und dem Erwerbspotenzial ­andererseits. Der Vereinbarkeit von work & care wurde jedoch bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Pflegewissenschaftlerin Iren Bischofberger widmet sich dem Thema in ihrem Buch von der wissenschaftlichen Seite her, um bei Leistungserbringern, Kostenträgern und Behörden den Blick auf die Sorgen und Nöte von erwerbstätigen pflegenden Angehörigen zu schärfen und Reformen anzustoßen. Die Leserschaft erwartet eine ausführliche systematische Auf­arbeitung der Thematik. Neben der Einführung in Trends, Terminologien und Konzepte der Sorgearbeit gibt die Autorin einen umfassenden Überblick über die gegenwärtigen work & care-Diskurse im Gesundheitswesen. Mit Blick auf die Schweiz analysiert sie das Schnittmengenfeld Gesundheits- und Langzeitversorgung und liefert Denkansätze für eine sektoren-, professions- und disziplinübergreifende integrierte Versorgung. Ein besonderes Augenmerk legt sie auf die Situation der entfernt lebenden Betreuenden – dem Distance Caregiving – und technische Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit. Das Buch zeigt, dass der Pflegewissenschaft ein Platz in der Politikberatung gebührt.
Iren Bischofberger: work & care – Der Weg zur Verein­barkeitskompetenz. 2023. 312 Seiten. 39,95 Euro. Verlag Hogrefe, Bern.

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Arbeitswelt

Psychosoziale Belastungen im Blick

Die Gesundheitsförderung in Betrieben setzt traditionell den Fokus auf die Unfall- und die allgemeine Krankheits­verhütung. Doch die Arbeitswelt hat sich verändert. Die ­Industriearbeit wird mehr und mehr von der Dienstleistungsarbeit mit ihren Forderungen nach mehr Flexibilität und Einsatzbereitschaft abgelöst. Damit verliert die Prävention von Arbeitsunfällen an Bedeutung, während die Vorbeugung psychosozialer Belastungen bedeutsamer wird. In ihrer Dissertation beleuchtet die ­Sozialwissenschaftlerin Marie Jelenko die Widersprüche zwischen der Tradition der paternalistischen betrieblichen Krankheitsprävention auf der einen Seite und den Wirklichkeiten und psychosozialen Belastungen im Kontext der subjektivierten Dienstleistungs­arbeit auf der anderen Seite. Mittels qualitativer Methoden untersucht die Wissenschaft­lerin bedeutende wirtschafts- und sozialpolitische Trends der modernen Arbeitswelt, wie Prekarisierung oder Globalisierung, und geht der Frage nach, welche psychischen Belastungssituationen dadurch für die Arbeitnehmerschaft entstehen. Ob und wie diese Veränderungen bislang in der aktuellen betrieblichen Prävention Eingang gefunden haben, ist Gegenstand ihrer Interview- und Dokumentenana­lyse. Wertvoll für die Praxis sind ihre Ansatzpunkte für ­eine umfassendere Integration psychosozialer Risiken in die betriebliche Prävention.
Marie Jelenko: Arbeit und Gesundheit in der Spätmoderne. 280 Seiten. 45 Euro. Verlag transcript, Bielefeld.

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Inklusion

Teilhabe vor hohen Barrieren

Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung hat sich Deutschland verpflichtet, Chancengleichheit zu schaffen und eine gleich­berechtigte Teilhabe zu er­möglichen. Die Umsetzung hat sich bislang jedoch nur auf kosmetische Veränderungen beschränkt, bemängelt Hannah Wahl, Pressesprecherin des Monitoringausschusses zur Umsetzung der Konven­tion in Österreich, in dieser Streitschrift. Mit deutlichen Worten kritisiert sie, dass Entscheidungsträger in Gesellschaft und Politik nach wie vor an Sonderstrukturen für Menschen mit Behinderungen festhalten. Auf der Suche nach den Gründen hinterfragt sie vorhandene Machtverhältnisse, ökonomische Mechanismen und die Art unseres Zusammenlebens. Welche fatalen Auswirkungen das Leben in der Parallelgesellschaft für die Betroffenen hat, verdeutlicht sie mit eindrücklichen Bei­spielen und unterfüttert sie mit aussagekräftigen Studien. Ihr Fazit: Unsere Wirtschaftsform stellt die größte Barriere für gelebte Inklusion dar. In letzter Konsequenz lasse sich diese nur umsetzen, wenn der Kapitalismus und seine Durchdringung aller Lebensbereiche überwunden würden. Die ­Autorin ermutigt, sich dafür einzusetzen und gibt Anreize zum Handeln.
Hannah Wahl: Radikale Inklusion. 2023. 128 Seiten. 14,50 Euro. Leykam Buchverlagsgesellschaft, Graz.

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Medizin

Therapeutische Kraft des Vertrauens

Dem Vertrauen kommt eine hohe Bedeutung zu. Gleich­zeitig wird allenthalben ein Vertrauensverlust beklagt. Doch was ist Vertrauen überhaupt? Und welche Rolle spielt es in der Medizin? Diesen Fragen gehen die 13 Beiträge in dem Sammelband nach, die anlässlich des 6. Freiburger Symposiums zu Grundfragen des Menschseins in der Medizin gehalten wurden. Bei der Suche nach Antworten beleuchten Wissenschaftler der Philosophie, Psychologie und Medizin nicht nur äußere Verhältnisse, sondern auch die ­innerpsychische Situation von Menschen, die sich vertrauensvoll aufeinander einlassen. In grundlegenden Beiträgen versuchen sie, dem Phänomen mit allgemeinen, beschreibenden Betrachtungen näherzukommen und sein Verhältnis zu Misstrauen, Versprechen, ­Verletzlichkeit oder Treue zu klären. In weiteren breit ge­fächerten Erörterungen setzen sich die Autoren tiefgreifend mit der Bedeutung des Vertrauens in der ärztlichen Praxis aus­einander und treten dabei in den Dialog mit Disziplinen des Rechts, der Soziologie, der ­Pädagogik und der Psycho­logie. Thematisiert werden unter anderem die Arzt-Patienten-Beziehung, die therapeutische Bedeutung des Vertrauens und die Rolle des Urvertrauens als wichtiges Element frühkindlicher Bindung.
Giovanni Maio (Hrsg.): Vertrauen in der Medizin. 2023. 320 Seiten. 24 Euro. Verlag Herder, Freiburg.

Beate Ebbers ist freie Journalistin in Peine.