Pflege

Mehr Mut bei der Finanzierung

Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz hat sich die Bundesregierung nur eine Atempause verschafft, meint der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang. Er hält bei der Finanzierung grundlegende Entscheidungen für notwendig. Von Bernhard Hoffmann

Nach fast zehn Jahren

intensiver Gesetzgebung in der Pflege steht die soziale Pflegeversicherung finanziell schlechter da als je zuvor. „Wir haben in den ver­gangenen Jahren die Pflege so ausgebaut, dass mehr Betroffene gepflegt werden können“, bilanziert der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang im Gespräch mit G+G. Das seien alles sinn­volle Neuerungen gewesen. „Nur bei der Finanzierung haben wir im Prinzip ein Komplettversagen. Das fällt uns jetzt auf die Füße.“

Rothgang, Leiter der Abteilung Gesundheit, Pflege, Alterssicherung am Socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen, ist ein langjähriger Begleiter der Pflegepolitik. Ohne das Urteil des Bundes­verfassungsgerichts zur Entlastung von Familien mit mehr als einem Kind hätte es das gerade vom Bundestag verabschiedete Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) gar nicht gegeben, ist er sich sicher. Dabei sei das Urteil auf die „denkbar unambitionierteste Weise“ umgesetzt worden. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung seien sinnvolle Schritte enthalten, wie etwa die Steuerfinanzierung der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige oder die Übernahme der medizinischen Behandlungspflege durch die Kranken­kassen. „Aber nichts davon hat es ins PUEG geschafft“, moniert Rothgang. „Wenn der Politik nichts mehr einfällt, erhöht sie den Beitragssatz.“

Den einfachsten Weg gewählt.

Dabei wird nach seiner Einschätzung die Finanzierungsfrage immer dringender. So würden sich in diesem Jahr erstmals höhere Kosten unter anderem für bislang extern finanziertes Pflegepersonal auf die Pflege­satzverhandlungen auswirken. Dies ­werde auch die Pflegebedürftigen finanziell höher belasten. Die Ampelkoalition habe mit der Beitragssatzerhöhung den einfachsten Weg gewählt. „Sie hat nicht gefragt, ob sie andere Einkommensarten für die Beitragsbemessung heranziehen könnte oder ob sie die Beitragsbemessungsgrenze heraufsetzen sollte“, kritisiert der Gesundheitsökonom.

„Das schreit nach einem Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung.“

Aus seiner Sicht gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Finanzlage der Pflege­versicherung dauerhaft zu sichern. Dabei sei die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen nur ein erster, aber schneller und einfacher Schritt. „Eine Anhebung der Beitragsbemessungs­grenze ist auch ziemlich einfach und bringt fiskalisch etwas“, erläutert Rothgang. Dies hätte außerdem den Vorteil, dass ein solcher Schritt nur „Einkommensstarke“ belaste, im Gegensatz zur jetzt beschlossenen Beitragssatzerhöhung, die Ver­sicherte mit geringeren Einkommen stärker treffe.

Drängen auf Finanzausgleich.

Bis Ende Mai 2024 soll Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein Finanzierungskonzept für die Pflege vorlegen. Hier wäre für Rothgang ein Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung sinnvoll, da die Leistungen identisch sind. Allerdings seien die Risiken sehr unterschiedlich verteilt. Die Aus­gaben für einen Versicherten der sozialen Pflegeversicherung seien doppelt so hoch wie in der privaten – „bei gleichen Leistungen, gleicher Begutachtung. Das schreit geradezu nach einem Finanzausgleich.“ Allerdings kann er sich nicht vorstellen, dass sich die Ampelkoalition zu einem solchen Schritt entschließen wird. Dabei sei der Finanzausgleich schon im Koalitionsvertrag von Unionsparteien und SPD im Jahr 2005 enthalten ge­wesen, aber nicht umgesetzt worden.

Keine zweite Sozialversicherung.

Von einer zusätzlichen kapitalgedeckten Pflegeversicherung, wie jüngst vom Verband der Privaten Krankenversicherungs­unternehmen (PKV) zur Absicherung des Risikos einer stationären Pflege vorgeschlagen, hält Rothgang wenig. Positiv sei daran, dass nun auch die PKV an­gesichts steigender Eigenanteile die Notwendigkeit einer größeren Absicherung sehe. Außerdem räume sie ein, „dass eine freiwillige Vorsorge nicht greift“. Und sie habe erkannt, dass eine obligatorische Versicherung eine soziale Prämiengestaltung erfordere. „Alles zusammengenommen ist es das Konzept einer Sozialversicherung“, konstatiert der Gesundheitsökonom. Dann sei es sinnvoller, das bereits vorhandene System auszubauen. „Es nutzt mir als Versichertem nichts, wenn ich gleichzeitig Beiträge für die Sozial­versicherung und Prämien für die kapital­gedeckte Versicherung zahle“, so Rothgang. Dann sei es effizienter, „alles aus einer Hand zu organisieren“.

In der Kapitaldeckung sieht der Wissenschaftler in diesem Fall keinen Vorteil. Denn der Aufbau eines Kapitalstocks brauche mehrere Jahrzehnte, bis er sich auszahle. Dies bedeute für die Pflege­versicherung eine lange Zeit der Doppelbelastung. „Es ist schön, einen Kapitalstock zu haben, aber nie schön, einen aufzubauen“, so Rothgang.

Bernhard Hoffmann ist Chefredakteur der G+G.
Bildnachweis: iStock.com/Stadtratte