Kongress

Patientenorientierung verbessern

Der elfte Kongress des Bundesverbands Managed Care (BMC) bot viel Vertrautes und war dennoch eine Premiere. Denn zum ersten Mal fand die Tagung komplett digital statt. An zwei Tagen fanden sich über 800 Experten in mehr als 40 Sessions ein. Von Thorsten Severin

Thematisch bildete der BMC-Kongress

auch diesmal eine breite Vielfalt ab – von Digital Health über die Zukunft der Gesundheitsberufe bis hin zu innovativen Versorgungslösungen. Dabei wurde vor allem der Ruf nach mehr Patientenorientierung laut. Und natürlich schwebte über allem Corona. Nach Ansicht von Bundes­gesundheitsminister Jens Spahn wird durch die Pandemie das Gesundheits­wesen künftig „einen anderen Stellenwert in der politischen Debatte haben als vorher“. Der Gesundheitssektor werde nicht mehr nur als Kostenfaktor gesehen, sondern vor allem auch als Investition in eine funktionierende Wirtschaft. Bei allen Problemen im Alltag habe sich das deutsche Gesundheitswesen als „widerstandsfähig und belastbar“ erwiesen, sagte der CDU-Politiker. Es gehe jetzt darum, es in seiner Resilienz und Vernetzung weiter zu stärken. Eine Schlüsselfunktion habe dabei die Digitalisierung.

Achtsamer mit Fachkräften umgehen.

Auch der BMC-Vorsitzende Professor Volker Amelung zeigte sich überzeugt, dass das Gesundheitswesen in Zukunft nicht nur aus der Kostenperspektive gesehen wird. Allerdings stehe es zunehmend im Wettbewerb zu anderen Gesellschaftsfeldern wie Bildung, Arbeit und Wirtschaft. Hier müsse stets ein Konsens gefunden werden. Zudem gelte es, positive Ansätze wie Videosprechstunden und die digitale Vernetzung von Gesundheitsinformationen für die Zeit nach Covid-19 auszubauen. Der Gesundheitsökonom plädierte dafür, im Sinne einer patienten-orientierten Versorgung achtsamer mit Fachkräften umzugehen, um weiterhin motivierte Menschen für Gesundheitsberufe zu gewinnen und zu halten. Dies sei nicht nur eine Frage der Vergütung, sondern etwa auch der Wertschätzung.

Gleichbehandlung und Solidarität.

Professorin Ellen Nolte von der London School of Hygiene & Tropical Medicine erinnerte an die gemeinsamen Werte und Grundsätze europäischer Gesundheitssysteme wie Universalität, Gleichbehandlung und Solidarität, die durch die Pandemie an Bedeutung gewonnen hätten. Wichtiger denn je sei es, die Patienten­orientierung zu stärken. „Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine personenzentrierte Versorgung sollte das Kernstück laufender und künftiger Gesundheitsreformen bilden“, forderte Nolte. Viele Initiativen seien jedoch inkonsistent oder verfolgten keinen übergreifenden strategischen Ansatz. Hauptbestandteile seien engagierte Führungskräfte und die Einbindung von Mitarbeitern, Patienten, Angehörigen und der breiten Öffentlichkeit auf allen Ebenen.

Das Gesundheitssystem hat sich als belastbar erwiesen.

Nach den Worten von Klaus Bürg, Managing Director von Amazon Web Services, erhält die Digitalisierung von Versorgungsprozessen, etwa mithilfe cloudbasierter Lösungen, durch die Pandemie derzeit einen Schub. Wichtig sei es, Innovationen konsequent voranzutreiben und ihre Nutzung in der Praxis zu erleichtern. Bei Amazon stehe der Kunde stets an erster Stelle. „Wir fangen beim Kunden an und denken von dort zurück“, erläuterte Bürg. Dies sei wichtig, damit Innovation gelinge. Zudem seien das Scheitern und das Erfinden in seinem Unternehmen „zwei untrennbare Zwillinge“. In Deutschland herrsche hingegen meist die Devise, dass am Anfang eines Prozesses schon feststehen müsse, was am Ende herauskomme. Notwendig sei eine Kultur, die auch Fehler zulasse.

Warten auf digitales Rezept.

Nach Ansicht von Katharina Jünger, Gründerin und CEO der Telemedizinplattform TeleClinic, hat Corona gezeigt, welche Bedeutung der digitale Zugang zu guter Gesundheitsversorgung hat. Telemedizin ermögliche es Ärzten, ihre Expertise ortsunabhängig Patienten zur Verfügung zu stellen und habe viele Vorteile – neben der Vermeidung von Infektionen im Wartezimmer seien dies etwa der Zugang zur Arztversorgung in ländlichen Gebieten und Barrierefreiheit. Jünger hofft nach eigenen Worten, dass das digitale Kassenrezept in diesem Jahr kommt. Ansonsten werde Deutschland bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens inter­national „weit zurückfallen“. Insgesamt müssten die Digitalisierung und die patientenzentrierte Versorgung ernster genommen werden.

Rat vom Management-Guru.

Ein Highlight zum Abschluss bot die Session mit Henry Mintzberg, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Management an der McGill University in Montreal, den Amelung als „Management-Guru“ vorstellte. Der 81-Jährige brachte grundsätzliche Überlegungen zum Management von Gesundheitssystemen ein. „Wir brauchen weniger Wettbewerb und mehr Zusammenarbeit“, sagte er. Dabei bezog sich Mintzberg auf den Kampf um Budgets, Betten oder die besten Mediziner, der unproduktiv sei. Pflege, Medizin, Controlling und Gesellschaft agierten getrennt voneinander. Die Forderung des Kanadiers: „Wir müssen den Menschen im Patienten sehen.“

Thorsten Severin ist Redakteur der G+G.
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