Psychiatrie

Regeln für die Zwangsunterbringung

Der Bundesgerichtshof hat die Anforderungen für eine zwangsweise Unterbringung psychisch kranker Menschen in einer geschlossenen Einrichtung bestätigt. Bei einer gerichtlich angeordneten mehr als einjährigen Unterbringung ist genau zu begründen, warum der Freiheitsentzug für so lange Zeit erforderlich ist. Von Anja Mertens

Urteil vom 21. April 2021
– XII ZB 520/20 –

Bundesgerichtshof

Beliebige Orte aufzusuchen,

dort zu bleiben und wieder zu verlassen gehört zu den verfassungsrechtlich geschützten persönlichen Freiheitsrechten. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden (Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes). In einer akuten Situa­tion ist es mitunter aber erforderlich, dass psychisch kranke Menschen zu ihrem eigenen Schutz oder zum Schutz anderer für eine bestimmte Zeit in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden. Besteht bei betreuten Menschen die Gefahr, sich selbst zu verletzen, sind An­träge der Betreuer auf eine geschlossene Unterbringung gerichtlich zu genehmigen. Der Zwangseinweisung sind allerdings Grenzen gesetzt. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Verfahren erneut klargestellt, in dem sich ein Betroffener gegen die gerichtlich genehmigte Dauer wehrte.

Zwangsunterbringung verlängert.

Der Mann leidet seit 2012 an einer paranoid-psychotischen Störung aus dem schizophrenen Formenkreis und hat seit Juni 2017 einen Betreuer. Als er im Juni 2020 nach einer Überdosis von Aufputsch­mitteln in eine Klinik eingeliefert wurde, beantragte der Betreuer die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Dies genehmigte das Amtsgericht zunächst bis zum 17. Juli 2020. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung ordnete das Gericht die Unterbringung in der Psychiatrie bis längstens 13. Juli 2022 an. Dagegen legte der Mann Beschwerde ein.

Das Landgericht bestätigte mit Verweis auf das Gutachten die zweijährige Zwangsunterbringung. Die Voraussetzungen gemäß Paragraf 1906 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs seien erfüllt. Es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass sich der Mann selbst erheblich schädige, wenn er nicht in einer geschlossenen Einrichtung unter­gebracht wäre. Schließlich sei er bereits mehrfach orientierungslos auf der Straße aufgefunden und in eine Klinik gebracht worden. Es bestehe keine „tiefgreifende Krankheitseinsicht“, sodass die Anleitung zur Einnahme von Medikamenten nur in einer Klinik erfolgen könne. Weniger belastende Maßnahmen seien nicht geeignet. Die Dauer der Unterbringung überschreite nicht den gesetzlichen Rahmen und entspräche ärztlicher Vorgabe. Zudem könnten laut Gutachten nach einer sechsmonatigen Unterbringung Lockerungen in Betracht kommen.

Die Befristung auf ein Jahr ist eine Höchstgrenze und nur ausnahmsweise zu genehmigen, so die obersten Zivilrichter.

Gegen diese Entscheidung legte der Mann Rechtsbeschwerde beim BGH ein und hatte Erfolg. Die obersten Zivilrichter hoben die Entscheidung der Vorin­stanz auf und wiesen den Fall an das Landgericht zurück. Dessen Begründung halte der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Es fehle an ausreichenden Gründen, um die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung für länger als ein Jahr zu genehmigen. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen seien nicht ausreichend dargelegt.

Dauer gesetzlich vorgegeben.

Die Bundesrichter stellten klar, dass eine zwangsweise Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie spätestens mit Ablauf eines Jahres enden müsse (Paragraf 329 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegen­heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG). Werde über die regelmäßige Höchstgrenze über ein Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, sei diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Solche Gründe könnten sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie ergeben oder bei anhaltender Eigengefährdung aus fehlenden Aussichten auf Heilung oder Besserung der Erkrankung.

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Die für eine bis zu zweijährige Unterbringung an­geführten Gründe müssten „deutlich und erkennbar hervortreten“, so die obersten Zivilrichter. Aus der Entscheidung des Landgerichts ließen sich jedoch keine konkreten Anknüpfungspunkte für die Annahme entnehmen, dass die beabsichtigte Heilbehandlung offensichtlich nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Dauer von einem Jahr erfolgreich sein könne. Vielmehr beschränke sich die Begründung des Landgerichts auf den Satz, dass die Dauer der Unterbringung nicht den gesetzlich vorgegebenen Rahmen überschreite und der ärztlichen Vorgabe entspräche. Auch der Entscheidung der ersten Instanz (Amtsgericht) sei hierfür nichts zu entnehmen.

Dort werde zur Dauer der Unterbringung lediglich ausgeführt, dass das Gericht bei der Fest­setzung der Dauer von zwei Jahren dem ärztlichen Gutachten gefolgt sei, es sich mit der Empfehlung der behandelnden Ärzte decke und diese den Betroffenen durch die jahrelange Behandlung gut einschätzen könnten.

Lockerungen denkbar.

Weiterhin führten die obersten Zivilrichter aus, dass das erstinstanzlich eingeholte Gutachten zu den Voraussetzungen einer Unterbringung des Mannes in einer geschlossenen Einrichtung nicht ausreichend darlege, warum die erforderlichen Therapiemaßnahmen nicht bereits innerhalb eines Jahres das Krankheitsbild verbessern könnten und eine Unterbringungsdauer von mehr als einem Jahr zu rechtfertigen sei. Der Sachverständige habe lediglich ausgeführt, der aktuelle Verlauf zeige, dass zunächst von einer Unterbringungsdauer von weiteren zwei Jahren ausgegangen werden müsse. Gleichzeitig aber halte es der Sachverständige für denkbar, dass nach sechs Monaten abhängig vom klinischen Verlauf und nach Absprache mit dem Klinikpersonal „Lockerungs­bestrebungen“ möglich wären. Weshalb dann die Unterbringung von vornherein auf zwei Jahre festgesetzt werden müsse, erschließe sich nicht aus den Ausführungen des Sachverständigen.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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