Für Sie gelesen 4

Cover:
Intensivtherapie

Leben retten und Traumata verhindern

Laute Geräusche, mangelhafte Kommunikation, Zugangshürden, fehlende Empathie – die Liste negativer Erfahrungen auf Intensivstationen lässt sich fortsetzen. Wo Medizin und Pflege Leben retten, besteht durch belastende Rahmenbedingungen ein hohes Risiko für Traumatisierung. Brigitte Teigeler und Sabine Walter wollen das ändern. Die Krankenschwestern lassen im ersten Abschnitt ihres Buches Patienten sowie deren Eltern, Kinder oder Freunde erzählen. Die Berichte sind erstaunlich sachlich und gerade deshalb erschreckend. Warum müssen Angehörige auf der Intensiv­station das Gefühl haben zu stören? Warum müssen Patienten auf nackte Wände starren? Dass es anders geht, zeigen Berichte über Pflegekräfte, die Angehörige trösten, über Ärzte, die Patientenwünsche erfüllen und Beispiele für systema­tische Verbesserungen aus dem In- und Ausland. So verleiht der Pflege e. V. das Zertifikat „Angehörigenfreundliche Intensivstation“, mit dem sich zum Beispiel die Interdisziplinäre Intensivstation Hattingen schmücken darf. Angehörige werden dort „proaktiv gebeten, häufig vorbeizukommen“. Auf vielen Intensivstationen in Norwegen werden „Intensiv­tagebücher“ für die Patienten geführt, damit diese später ihre Erinnerungslücken füllen können und so die Chance haben, Belastungen zu verarbeiten. Wertvolle Impulse, denen eine weite Verbreitung zu wünschen ist. (Änne Töpfer)
Brigitte Teigeler, Sabine Walther: Auf der Intensivstation. 2022. 248 Seiten. 29,95 Euro. Verlag Hogrefe, Bern.

Cover:
Wissenschaft

Ermittlung von Pflegebedürftigkeit

Bislang gibt es eine Reihe von Kriterien und Assessments für die Einschätzung von Pflege­bedürftigkeit. Doch unklar ist, inwieweit diese die Sicht der Pflegefachkräfte widerspiegeln. Die vorliegende Disser­tation von Dorothea Reichert unternimmt den Versuch, das Konstrukt Pflegebedürf­tigkeit aus der Perspektive von Pflegefachkräften in der ambulanten Pflege mit dem Fokus auf die pflegebedürftige Person und ihr soziales und materielles Umfeld zu betrachten. Ziel ist, relevante Kriterien für Pflege­bedürftigkeit und deren Wechselwirkung zu identifizieren. Dazu entwickelt sie im empirischen Teil ihrer Arbeit auf Basis von Interviews mit Pflegefachkräften theore­tische Annahmen, mit denen Pflegehandlung dargestellt und für Pflegekräfte und andere Berufsgruppen nachvollziehbar wird. Sie ermöglichen eine abstrahierte Betrachtung von Pflegebedürftigkeit, die die Identifizierung von Kriterien erleichtert. Umfassend stellt die Wissenschaftlerin die verwendeten Methoden und Modelle zur Ermittlung, Auswertung und Überprüfung vor und diskutiert ihre Vor- und Nachteile für die Theorie­entwicklung. Als Beispiele sind die multidimensionale Skalierung und Struktur­gleichungsmodelle genannt. Die Dissertation ist ein wertvoller Beitrag zur Theorie­entwicklung in der Pflegewissenschaft, auf deren Grund­lage sich weitere Forschungs­mög­lich­keiten er­geben.
Dorothea Reichert: Die Differenzierung von Pflege. 2023. 244 Seiten. 54 Euro. Nomos-Verlag, Baden-Baden.

Cover:
Demenz

Innenansichten aus einem Heim

Es war das Praktikum in einer geschlossenen Abteilung, das bei Teun Toebes das Interesse an Menschen mit Demenz weckte. Die große Diskrepanz zwischen dem Anspruch der gesundheitlichen Fürsorge und der Realität empfand der niederländische Pflegestudent als so erdrückend, dass er enttäuscht das Handtuch werfen wollte. Doch er blieb und verschrieb sich der Mission, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz durch eine bedürfnisorientierte Pflege zu verbessern. Dafür zog er in ein Pflegeheim und wohnt bis heute mitten unter den Bewohnern. In seinem Buch berichtet er über die Beweg­gründe und Visionen für sein außergewöhnliches Engagement. In kleinen Geschichten und Anekdoten schildert er anschaulich, liebe- und respektvoll die bewegenden Begegnungen mit den Mitbewohnern. Er berichtet über fröhliche und bedrückende Momente, über Sorgen und Probleme. Das Bedürfnis der an Demenz Erkrankten, mit Unternehmungen aktiv am Leben teilzunehmen, erfüllt er ihnen durch Gründung einer eigenen Stiftung. Sein inspirierender Erfahrungsbericht ist keine Anklage an die Pflege, sondern ein wertvolles Zeugnis für den menschlichen Umgang mit an Demenz Erkrankten.
Teun Toebes: Der 21-Jährige, der freiwillig in ein Pflegeheim zog und von seinen Mitbewohnern mit Demenz lernte, was Menschlichkeit bedeutet. 2023. 216 Seiten. 20 Euro. Verlag Knaur, München.

Cover:
Sucht

Mehr Beistand für Angehörige

Etwa zehn Millionen Deutsche haben einen Angehörigen mit einer Substanzgebrauchsstörung wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Als „Co-Abhängige“ fällt es ihnen schwer, Grenzen zu setzen und für eine angemessene Selbstachtung zu sorgen. Psychische Beeinträchtigungen und ein schwacher Gesundheitszustand sind die Folgen. Daher gehören Angehörigenseminare und -gespräche zum Angebot in der Suchthilfe, die aber selten genutzt werden. In ihrer Publikation beschäftigt sich die Autorin mit der Frage, inwieweit soziale Arbeit und Suchttherapie dazu beitragen können, die Angehörigenarbeit für eine erhöhte Inanspruchnahme zu verbessern. Im Fokus steht die von ihr durchgeführte empirische Ermittlung und Analyse der Bedarfe und Barrieren von Angehörigen, die sie in Kontext zum Forschungsstand und wissenschaftlichen Diskurs setzt. Aus den Forschungsergebnissen leitet die Suchttherapeutin und Wissenschaftlerin praxisnahe Empfehlungen für verbesserte Unterstützungsstrukturen und -angebote ab. Hintergrund­informationen zu Substanz­gebrauchsstörungen, zu den Facetten und Auswirkungen der Co-Abhängigkeit und zu den gegenwärtigen Angebotsstrukturen der Angehörigen­arbeit runden das Werk ab.
Larissa Hornig: Angehörigenarbeit im Rahmen der Suchthilfe. 2023. 148 Seiten. 39 Euro. Nomos-Verlag, Baden-Baden.

Beate Ebbers ist freie Journalistin in Peine.
Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.