Zahnersatz

Festzuschuss gilt ohne Ausnahme

Ob Brücke, Krone oder Prothese – für Zahnersatz müssen die gesetzlichen Krankenkassen nur die dafür festgelegten Festzuschüsse zahlen. Wollen Kassenpatienten einen über die Regelversorgung hinausgehenden Zahnersatz, müssen sie die Mehrkosten selbst tragen. Das hat das Bundessozialgericht entschieden. Von Anja Mertens

Urteil vom 27. August 2019
– B 1 KR 9/19 R –

Bundessozialgericht

Eine Strahlen- und Chemotherapie

wirkt sich auch auf die Zähne negativ aus. Karies, Zahnverlust und das Absterben der Kieferknochen können die Folge sein. Auch wenn diese Schäden Folgen der Therapie sind, übernehmen die Krankenkassen die daraus resultierenden Kosten für Zahnersatz in der Regel nicht vollständig, sondern zahlen einen Zuschuss in festgelegter Höhe (Festzuschuss). Den Rest muss der Patient selbst tragen. Ob eine Kasse einer Krebspatientin alle Kosten für einen Zahnersatz zahlen muss, der über die Regelversorgung hinausgeht, hatte kürzlich das Bundessozialgericht (BSG) zu entscheiden.

Erneute Kostenbelastung nicht zumutbar.

Die Patientin wollte sich statt einer Brücke oder Zahnprothese Teleskopkronen einsetzen lassen, die voll mit Keramik verblendet sind. Der Heil- und Kostenplan erhielt die Kosten der Regelversorgung in Höhe von 1.668,08 Euro, den um 30 Prozent erhöhten Festzuschuss von 1.084,24 Euro und Gesamtkosten von 3.834,31 Euro. Die Patientin beantragte bei ihrer Kasse, ihr diese über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung ohne Eigenanteil zu bewilligen. Obwohl das gemeinsame Einkommen von ihr und ihrem Mann den Grenzbetrag der Unzumutbarkeit übersteige, sei ihr eine erneute Kostenbelastung nicht zumutbar. Die Erkrankung der Zähne sei Folge einer Chemotherapie und Bestrahlung, die sie 2011 wegen eines Mammakarzinoms erhalten habe. Bereits 2014 habe sie für Brücken und Kronen 5.000 Euro zugezahlt. Die Kasse bewilligte den Festzuschuss von 1.084,24 Euro, lehnte aber eine darüber hinausgehende Kostenübernahme ab. Auf die Klage der Versicherten hin verurteilte das Sozialgericht die Kasse dazu, die Kosten der über die Regelversorgung hinausgehenden Gesamtversorgung zu übernehmen. Die Kasse legte Berufung beim Landessozialgericht ein.

Die Genehmigungsfiktion gilt nur für Leistungen, die im Katalog der Kassen enthalten sind.

Es urteilte, dass die Kasse nur für die Kosten der Regelversorgung (1.668,08 Euro) aufkommen müsse. Daraufhin legte die Patientin Revision beim BSG ein. In Härtefällen müsse die Kasse die gesamten Behandlungskosten übernehmen. Sie sei unzumutbar belastet: Schon in der Vergangenheit habe sie überdurchschnittlich oft hohe Eigenanteile tragen müssen. Zudem habe die Kasse über ihren Antrag zu spät entschieden, sodass er als genehmigt gelte (Genehmigungsfiktion gemäß Paragraf 13 Absatz 3a SGB V).
 
Doch das BSG wies die Revision zurück und gab der Kasse recht. Die Pa­tientin habe keinen Anspruch auf eine Versorgung mit Zahnersatz, die über die Regelversorgung hinausgehe. Was zur prothetischen Regelversorgung gehöre und welche Festzuschüsse es für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung gibt, sei in der Zahnersatz- und in der Festzuschuss-Richtlinie des Gemeinsamen Bundes­ausschusses festgelegt.

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Zudem habe die Kasse nach dem Bundesmantelvertrag-Zahnärzte den Heil- und Kostenplan vor Behandlungsbeginn daraufhin prüfen, ob die geplante Versorgung notwendig sei. Falle die Prüfung positiv aus, bewillige die Kasse die Festzuschüsse. Diese Zuschüsse würden gezahlt, wenn der Zahnersatz innerhalb von sechs Monaten nach Genehmigung des Heil- und Kostenplans eingegliedert wird. Da dies aber im vorliegenden Fall nicht geschehen sei, sei die erteilte Genehmigung durch Frist­ablauf entfallen.

Regelversorgung ausreichend.

Auch könne die Patientin nicht unter dem Aspekt der Unzumutbarkeit eine über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung ohne Eigenbeitrag verlangen. Zusätzlich zu den Festzuschüssen könne es zwar einen Anspruch auf einen weiteren Betrag geben, wenn die maßgebende Einkommensgrenze überschritten werde. Die Beteiligung der Kasse an den Kosten umfasse aber maximal einen Betrag in Höhe der zweifachen Festzuschüsse, jedoch nicht mehr als die tatsächlich entstandenen Kosten (Paragraf 55 SGB V). Die Begrenzung der Leistungen auf höchstens die vollen Kosten der Regelversorgung beruhe darauf, dass die Regelversorgung alles enthalte, was geeignet, ausreichend und erforderlich ist. Eine darüber hinausgehende Versorgung müsse die Patientin selbst bezahlen.

Im Einklang mit dem Grundgesetz.

Die obersten Sozialrichter ließen auch keinen Zweifel daran, dass die Regelungen zur Versorgung mit Zahnersatz verfassungskonform sind. Paragraf 55 SGB V verletze nicht den Grundsatz der Gleich-behandlung (Artikel 3 des Grundgesetzes). Verfassungsrechtlich sei nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche Krankenversicherung Leistungen nur nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stelle. Der Gesetzgeber erkenne den Versicherten beim Zahnersatz eine nach zahnmedizinischen Erkenntnissen ausreichende und wirtschaftliche Regelversorgung zu. Darüber hinausgehende Leistungen überantworte er dagegen der Eigenvorsorge. Er überlasse es außerdem dem Gemeinsamen Bundesausschuss, die Festzuschüsse in einer Richtlinie zu konkretisieren (Paragraf 56 SGB V).

Kein Fall der Genehmigungsfiktion.

Auch könne sich die Patientin nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen (Paragraf 13 Absatz 3a SGB V). Zwar habe die Kasse nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen entschieden. Doch die Genehmigungsfiktion gelte nicht für Leistungen, die außerhalb des GKV-Katalogs lägen. Der Patientin hätte bekannt sein müssen, dass ihre geplante Versorgung keine GKV-Leistung ist.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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