Ländliche Versorgung international

Gesundheit für die Fläche

Eine alternde Bevölkerung und der Fachkräftemangel stellen die Gesundheitsversorgung in dünn besiedelten Regionen nicht nur in Deutschland vor große Herausforderungen. Welche Lösungen Finnland, Frankreich und Kanada gefunden haben, beschreiben Hannah Budde und Dr. Claudia Maier.

Wer auf dem Land wohnt, hat meist weite Wege zu Haus- oder Fachärzten, wartet lange auf einen Termin und ist mit einem geringen Angebot an Pflegediensten und Heilmitteln konfrontiert. Der demografische Wandel wird diese Situation in den kommenden Jahren noch verschärfen. Nicht zuletzt wegen des im Grundgesetz verankerten Rechts auf gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland besteht dringender Handlungsbedarf. Herkömmliche Versorgungsformen wie die klassische Hausarztpraxis geraten dabei zunehmend an ihre Grenzen. Um die Herausforderungen in Zukunft bewältigen zu können, sind innovative Versorgungsmodelle gefragt.

Rollen und Befugnisse erweitern.

Beispiele aus Finnland, Kanada und Frankreich bieten Perspektiven auch für Deutschland. Diese Länder haben großflächige ländliche Räume, in denen die dort lebenden Menschen einen guten Zugang zu Medizin und Pflege brauchen. Erfolg versprechen Ansätze, die lokal Fachkräfte für die Primärversorgung gewinnen. Dabei hilft beispielsweise, wenn der Nachwuchs schon während der Ausbildung Praxiserfahrungen in ländlichen Regionen sammelt. Auch neue Formen der Aufgabenteilung zwischen Ärzten, Pflegefachpersonen und anderen Gesundheitsberufen sowie neue Rollen in der Primärversorgung können zu einer integrierten, bedarfsorientierten und hochwertigen Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten beitragen. Reformen in Finnland, Kanada und Frankreich haben dazu geführt, die Rollen und Tätigkeitsbefugnisse verschiedener Gesundheitsberufe zu erweitern, zu übertragen oder in multiprofessionellen Teams und sektorenübergreifend zusammenzubringen. In Bezug darauf haben die genannten Länder im Vergleich zu Deutschland einen Vorsprung.

Finnische Gemeinden steuern Versorgung.

In Finnland leben viele Menschen in entlegenen ländlichen Gegenden. Politik und Wissenschaft haben deshalb frühzeitig angefangen, neue Formen der Gesundheitsversorgung zu entwickeln, die der Landbevölkerung einen besseren Zugang ermöglichen. Das zeigen sowohl integrierte Gesundheitszentren wie auch innovative mobile Modelle. Die integrierte Versorgung ist in Finnland deutlich weiter entwickelt als in Deutschland. Die Primärversorgung ist dezentralisiert und oft auf lokaler Ebene sektorenübergreifend organisiert, wobei die Gemeinden die Steuerung übernehmen. Die insgesamt 297 Gemeinden sind für die soziale und gesundheitliche Versorgung verantwortlich. Häufig haben sich mehrere Gemeinden zusammengeschlossen und gemeinsam eine Behörde gegründet.

Walk-in-Zentrum für junge Patienten.

Ein Beispiel für die integrierte Versorgung und den Zusammenschluss mehrerer Gemeinden ist das Projekt Eksote (Etelä-Karjalan sociaalika terveyspiiri), ein multiprofessionelles Zentrum für die soziale und gesundheitliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Südkarelien. Das Eksote-Projekt steht rund 130.000 Einwohnern in neun Gemeinden zur Verfügung. Ein multiprofessionelles Team aus Fachkräften aus dem gesundheitlichen wie auch dem sozialen Bereich arbeitet hier unter einem Dach. Die Zentren bieten ein weites Spektrum an Leistungen: von der Primärversorgung über Psychotherapie bis hin zu Sozialarbeit und Gesundheitsversorgung an Schulen und in ländlichen Regionen. Die Zentren basieren auf dem Walk-In-Prinzip: Die Patienten kommen ohne Terminvergabe. Zielgruppe sind junge Menschen. Vor Ort wird entschieden, welches Team aus unterschiedlichen Fachkräften sich am besten um die individuellen Bedürfnisse kümmern kann. Das Projekt zeigt, dass sich eine integrierte Versorgung, die Gemeinden in ländlichen Regionen in Organisation und Entscheidungsprozesse einbezieht, positiv auf Engpässe sowie Effizienz auswirken kann. Sowohl die Gesundheitsausgaben als auch die Zahl der Tage in stationärer Behandlung sind gesunken (Keskimäki et al., 2018).

Ältere profitieren vom mobilen Service.

Ein weiteres Beispiel aus Finnland ist ein im Jahr 2010 von Eksote gegründetes Pilotprojekt, das Patienten weite Wege erspart. Der sogenannte Mallu-Bus bietet eine integrierte Primärversorgung direkt in den Gemeinden. Patienten können Termine für eine Behandlung im Bus über Telefon oder Internet buchen. Pflegefachpersonen übernehmen hier beispielsweise Impfungen und Gesundheitsberatungen, messen den Blutdruck und den Blutzucker oder ziehen Fäden aus verheilten Wundnähten. Bei Bedarf können sie per Videokonsultation Ärzte um Rat fragen. Darüber hinaus haben die Pflegefachpersonen über einen Computer Zugriff auf eine zentralisierte Patientenakte. Auf einer festen Route steht der Bus rund 100.000 Menschen in acht Gemeinden zur Verfügung. Vor allem ältere Patienten mit eingeschränkter Mobilität profitieren von dem Angebot.

Bevölkerungsdichte
(Einwohner pro Quadratkilometer)
2019: 16

Arztdichte auf 1.000 Einwohner
2014: 3,2

Zahl der Arztkontakte pro Kopf und Jahr
2017: 4,4

Pflegefachkraft-Dichte (Nurses) auf 1.000 Einwohner
2014: 14,3

Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt
(Frauen und Männer)
2017: 81,7 Jahre

Quellen: OECD 2019, Eurostat 2019

In Deutschland gibt es ähnliche Projekte. Seit zwei Jahren fährt der Medibus – eine vollausgestattete, mobile Hausarztpraxis – sechs Gemeinden in Nordhessen an. Das Mallu-Modell bietet demgegenüber eine mobile integrierte Versorgung ohne die persönliche Anwesenheit von Ärzten im Bus. Dass die Mediziner sich auf komplexe Aufgaben konzentrieren können, wirkt sich auf die Kosteneffizienz aus. Die finnischen Gemeinden entwickeln das Mallu-Projekt kontinuierlich weiter: Der Bereich der Zahnbehandlung soll ausgeweitet und die Tätigkeitsbefugnisse der Pflegefachpersonen so erweitert werden, dass sie beispielsweise Medikamente verschreiben und Voruntersuchungen eigenständig übernehmen dürfen.

Nichtärztliche Fachkräfte entlasten Ärzte.

In Finnland übernehmen auf akademischen Niveau ausgebildete nichtärztliche Fachkräfte an vielen Stellen vermehrt Verantwortung in der Gesundheitsversorgung. So leiten Pflegefachpersonen beispielsweise Gesundheitsposten in ländlichen Regionen oder sie arbeiten in multiprofessionellen Teams in Gesundheitszentren. Fachkräfte mit erweiterten Tätigkeitsbefugnissen können demnach eine wichtige Rolle bei der Versorgung von Patienten mit akuten und chronischen Krankheiten spielen. In enger Zusammenarbeit mit Ärzten übernehmen diese Fachkräfte Tätigkeiten in der Beratung, Behandlung und Nachbeobachtung von Patienten. Diese neuen Versorgungsmodelle haben das Ziel, bestimmte Patientengruppen von Ärzten auf nichtärztliche Gesundheitsfachkräfte umzuverteilen. Das Ergebnis: 70 Prozent der Patienten erhielten Gesundheitsleistungen ausschließlich von Pflegefachpersonen und nur 22 Prozent der Patienten brauchten eine Überweisung zum Arzt (WHO, 2015).
 
Zusätzliche Tätigkeiten in Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung sind für eine integrierte und lokale Primärversorgung von großer Bedeutung. Sie gehören ebenfalls zum Profil der Pflegefachpersonen. Auch wenn viele Konzepte noch als Pilotprojekte laufen, tragen sie bereits zu einem verbesserten Zugang zur Gesundheitsversorgung, einer größeren Patienten-Zufriedenheit und einem besseren Arbeitsumfeld für nichtärztliche Fachkräfte und Ärzte bei.

Kanada bildet im ländlichen Raum aus.

Kanada hat eine noch geringere Bevölkerungsdichte als Finnland: Etwa 20 Prozent der kanadischen Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Die Gesundheitsversorgung hat für die Bevölkerungsgruppen aus unterschiedlichen Kulturkreisen einen hohen Stellenwert. Das Land ist zudem bekannt für ein innovatives Bildungssystem. Ein Beispiel hierfür sind ortsbezogene Ausbildungsbestandteile. Sie haben das Ziel, angehenden Fachkräften soziale Verantwortung für ihre Gemeinden zu vermitteln.

Bevölkerungsdichte
(Einwohner pro Quadratkilometer)
2019: 3,8

Arztdichte auf 1.000 Einwohner
2018: 2,8

Zahl der Arztkontakte pro Kopf und Jahr
2018: 6,8

Pflegefachkraft-Dichte (Nurses) auf 1.000 Einwohner
2017: 10

Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt
(Frauen und Männer)
2017: 82 Jahre

Quellen: OECD 2019, Eurostat 2019

Die Northern Ontario School of Medicine (NOSM), gegründet 2005, sollte dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung der Gemeinden in der ländlichen Region Northern Ontario im Südosten Kanadas zu verbessern. Der Fachkräftemangel war auch hier ausschlaggebend. Außerdem gingen die Gründer davon aus, dass das Aufwachsen oder längerfristige Wohnen im ländlichen Raum einen Einfluss auf den Ort der Berufsausübung hat. Die NOSM wirbt deshalb gezielt um junge Menschen aus Northern Ontario und ähnlich ländlich geprägten Regionen und bildet die Fachkräfte in mehr als 90 klinischen sowie in den Gemeinden basierten Einrichtungen aus. Dabei steht die soziale Verantwortung im Mittelpunkt.

Die Erfolge dieses Konzeptes zeigten sich bereits nach zehn Jahren: 92 Prozent der Studierenden der NOSM kommen aus Northern Ontario, 69 Prozent aller Absolventinnen und Absolventen mit Aufbaustudium und 94 Prozent der Ärzte, die an der NOSM ihr Grund- und Aufbaustudium gemacht haben, praktizieren in der Region (Strasser, 2016). Die NOSM hat sich zudem positiv auf die wirtschaftliche Situation der Gemeinden ausgewirkt, da die Studierenden hier auch ihr Geld ausgeben. Darüber hinaus hat die NOSM einen sozialen Einfluss. Viele Menschen in Northern Ontario nehmen den Erfolg der Institution als eine Stärkung der Region wahr.

Nurse Practitioners übernehmen ärztliche Aufgaben.

Als Antwort auf den Ärztemangel sind in Kanada die Nurse Practitioners auf den Plan getreten. Nurse Practitioners erhalten während ihres Masterstudiums eine vertiefte holistische, medizinisch-pflegerische Ausbildung. Das Berufsbild existiert bereits in Ländern wie den USA, Australien und Großbritannien. In der kanadischen Provinz British Columbia arbeiten Nurse Practitioners mit erweiterten Tätigkeitsbefugnissen in ländlichen Praxen. Sie kooperieren mit anderen Gesundheitsberufen, wie zum Beispiel Allgemeinmedizinern. Nurse Practitioners arbeiten unter anderem in entlegenen Regionen und wenden für jeden Patienten im Durchschnitt 15 bis 20 Minuten mehr Zeit auf als Ärzte, zum Beispiel für die gesundheitliche Beratung. Das kommt vor allem Patientinnen und Patienten mit speziellen Bedürfnissen und benachteiligten Gesellschaftsgruppen zugute. Evaluationen zeigen, dass sich dieser innovative Einsatz von Pflegefachpersonen mit erweiterten Tätigkeitsbefugnissen sowohl positiv auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung, als auch auf die Zufriedenheit der Ärzte auswirkt. Letztere begründen das vor allem damit, dass sie sich auf komplexere medizinische Aufgaben konzentrieren können.

Physician Assistants leisten Primärversorgung.

Eine weitere neue Rolle im kanadischen Gesundheitswesen ist die der Physician Assistants, die an der Seite von Ärzten arbeiten. Sie sollen die Gesundheitsversorgung auch in ländlichen und entlegenen Regionen verbessern. Heute sind 500 Physician Assistants in den kanadischen Provinzen New Brunswick, Alberta, Manitoba und Ontario im Einsatz. Sie leisten gemeinsam mit Ärzten und weiteren Berufsgruppen einen wichtigen Beitrag zur Primärversorgung. Die Aufgaben in den multiprofessionellen Teams sind klar geteilt.

Ähnliche Konzepte für den Einsatz von Pflegeexpertinnen wie Advanced Practice Nurses und Physician Assistants mit erweiterten Befugnissen erproben Leistungserbringer und Kostenträger auch in Deutschland. Die Entwicklungen stehen jedoch noch am Anfang und die genannten Berufsgruppen arbeiten oft im städtischen Bereich und im stationären Sektor.

Frankreich stärkt unterversorgte Regionen.

In Frankreich hat der Ausbau der ländlichen Gesundheitsversorgung Priorität in der Gesundheitspolitik. Im überwiegend zentral gesteuerten französischen Gesundheitssystem stehen die ländlichen Regionen dennoch im Fokus der politischen Agenda. Die Regierung will „déserts médicaux“ (medizinische Wüsten) verhindern. Dieses Schlagwort ist zum Symbol der Dringlichkeit für eine Verbesserung der ländlichen Gesundheitsversorgung geworden.

Bevölkerungsdichte
(Einwohner pro Quadratkilometer)
2019: 106

Arztdichte auf 1.000 Einwohner
2018: 3,4

Zahl der Arztkontakte pro Kopf und Jahr
2016: 6,1

Pflegefachkraft-Dichte (Nurses) auf 1.000 Einwohner
2018: 10,8

Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt
(Frauen und Männer)
2017: 82,6 Jahre

Quellen: OECD 2019, Eurostat 2019

Der Ärztemangel stellt viele Patienten vor enorme Probleme. Deshalb haben sich Allgemeinärzte auf dem Land entschieden, Pflegefachpersonen aus der Action de santé libérale en équipe (ASALEE) in ihre Praxen zu integrieren. ASALEE ist ein 2004 begonnenes innovatives Programm, das die Primärversorgung für Patienten in ländlichen Regionen mithilfe von Teams selbstständiger Fachkräfte verbessern soll. Zur Zielgruppe gehören insbesondere Patienten mit chronischen Erkrankungen, anfangs Patienten mit Diabetes und inzwischen auch Patienten mit Bluthochdruck und kognitiven Einschränkungen. Im Rahmen von ASALEE durchlaufen Pflegefachpersonen eine erweiterte Ausbildung mit dem Schwerpunkt auf Gesundheitserziehung und Aufklärung. Anschließend arbeiten sie mit Allgemeinmedizinern zusammen und übernehmen wichtige Tätigkeiten, wie die umfassende Beobachtung und Untersuchung von Patienten mit Diabetes und die Früherkennung von kardiovaskulären Risikofaktoren oder kognitiven Problemen.

Prävention chronischer Erkrankungen stärken.

Die weitergebildeten Pflegefachpersonen erfüllen Aufgaben in der Prävention chronischer Erkrankungen und ermöglichen mit der Übernahme von Tätigkeiten, die zuvor in ärztlicher Hand lagen, einen verbesserten Zugang zur Primärversorgung für Patienten in ländlichen Regionen. Zu diesen Tätigkeiten zählen beispielsweise Patientenaufklärung und Ernährungsberatung. Die Zusammenarbeit beider Gesundheitsberufe ist für eine gute Koordinierung und Kontinuität der Versorgung von großer Bedeutung. Über elektronische Managementsysteme können die Fachkräfte selbst Patientendaten hinzufügen und elektronische Terminerinnerungen an Ärzte schicken. Mehrere Studien belegen positive Auswirkungen des Projekts auf die Gesundheit der Patienten. So verbesserte sich der Blutzuckerspiegel bei Patienten mit Diabetes Typ 2 im ASALEE-Projekt stärker als bei Patienten in der Kontrollgruppe. Nachdem die Pflegefachkräfte die Patienten zur Behandlung des Diabetes beraten hatten, war dieser Effekt noch deutlicher (Bourgueil et al., 2008).

Das ASALEE-Projekt hat sich seit 2004 kontinuierlich weiterentwickelt. Bis 2014 hatte es in bereits 20 Regionen und 50 Départements Pflegefachpersonen und Allgemeinmediziner zusammengebracht. Das Programm zeigt, dass sich die Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen durch innovative Ansätze in der Primärversorgung verbessert. Es signalisiert zudem, dass Prävention und Gesundheitsförderung eine zentrale Funktion dabei spielen sollten.

Finanzielle Anreize für Ärzte reichen nicht.

Der Blick in drei Länder mit ähnlichen Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung ländlicher Räume zeigt, dass verschiedene Ansätze wirksam werden. So bindet etwa die Ausbildung von Ärzten und anderen Gesundheitsberufen auf lokaler Ebene wie in Kanada Fachkräfte an ländliche Regionen. Pflegefachpersonen mit erweiterten Tätigkeitsbefugnissen, integrierte Versorgung durch multiprofessionelle Gesundheitsteams (in Kanada, Finnland und Frankreich) und mobile Versorgungsmodelle, die über Hausärzte hinausgehen (in Kanada und Finnland) stärken die Primärversorgung und erleichtern den Zugang zu Gesundheitsleistungen in dünn besiedelten Gebieten.

Bevölkerungsdichte
(Einwohner pro Quadratkilometer)
2019: 232

Arztdichte auf 1.000 Einwohner
2017: 4,3

Zahl der Arztkontakte pro Kopf und Jahr
2017: 9,9

Pflegefachkraft-Dichte (Nurses) auf 1.000 Einwohner
2017: 12,9

Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt
(Frauen und Männer)
2017: 81,1 Jahre

Quellen: OECD 2019, Eurostat 2019

Was bedeutet das für die ländliche Gesundheitsversorgung in Deutschland? Finanzielle Anreize für Ärzte, sich in ländlichen Regionen niederzulassen, reichen nicht aus. Mehr Wirkung haben gebündelte Maßnahmen mit zusätzlichen Anreizsystemen zur Stärkung der Primärversorgung. Neben finanziellen Instrumenten sollte beispielsweise auch die Förderung von guten Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen sowie ein besseres Arbeitsumfeld und Weiterbildungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt rücken, um Fachkräfte längerfristig zu binden und die Arbeit in ländlichen Regionen attraktiver zu gestalten.

Potenziale nichtärztlicher Fachkräfte nutzen.

Politik, Leistungserbringer und Kostenträger sollten innovative Versorgungsmodelle, die an die Situation in ländlichen Gebieten angepasst sind, voranbringen. Zwar existieren in Deutschland bereits zahlreiche Projekte zur Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum wie beispielsweise mobile hausärztliche Versorgungsmodelle, Hausbesuche durch nichtärztliche Praxisassistentinnen, telemedizinische Konzepte und Medizinische Versorgungszentren. Die Modelle in Finnland, Kanada und Frankreich sind jedoch einen Schritt weiter, denn der Ausbau der ländlichen Gesundheitsversorgung in Deutschland konzentriert sich noch auf die Hausärzte und ist von einer starken sektoralen Trennung geprägt.

  • Natalie Götz, Verena Struckmann, Reinhard Busse: Review zu den Perspektiven der ländlichen Versorgung. Ein Überblick international bestehender Ansätze. Universitätsverlag der TU Berlin, 2014. Download
  • Doris Schaeffer, Kerstin Hämel, Michael Ewers: Versorgungsmodelle für ländliche und strukturschwache Regionen. Anregungen aus Finnland und Kanada. Weinheim: Beltz Juventa, 2015.
  • Ilmo Keskimäki, Timo Sinervo, Juha Koivisto: Integrating health and social services in Finland: regional and local initiatives to coordinate care. 2018. Download
  • European Network for Rural Development: Mallu does the rounds. 2016.
  • Weltgesundheitsorganisation (WHO): European compendium of good practices in nursing and midwifery towards Health 2020 goals. 2015. Download
  • Roger Strasser: Delivering on Social Accountability: Canada’s Northern Ontario School of Medicine. 2016. 1(1), 3-8.
  • Yann Bourgueil, Philippe Le Fur, Julien Mousquès, Engin Yilmaz: GPs teamed up with nurses: a skill mix experiment improves management of type 2 diabetes patients. Main results of the ASALEE experiment. IRDES. 2008. 1(1), 3-8. Download

Wohnortnahe multiprofessionelle Netzwerke von Fachkräften, die ein breites Bedarfsspektrum abdecken sowie eine populationsorientierte Gesundheitsförderung und Prävention in ländlichen Gebieten stärken die integrierte Versorgung. Eine zentrale Funktion können dabei Pflegefachpersonen sowie weitere Gesundheitsberufe übernehmen. Sie haben in anderen Ländern weitaus mehr Tätigkeitsbefugnisse. Die Potenziale der Pflegefachpersonen und der anderen nichtärztlichen Gesundheitsberufe könnten auch in Deutschland aktiver genutzt werden.

Ausbildung akademisieren.

Um erweiterte Tätigkeiten und neue Rollen übernehmen zu können, ist eine adäquate Ausbildung dieser Fachkräfte notwendige Voraussetzung. Das bedeutet neben der Akademisierung auch eine kontinuierliche Weiterbildung der Gesundheitsberufe und kompetenzbasiertes Training, das die neuen Fähigkeiten und Rollen vermittelt. Bei der Re­krutierung neuer Fachkräfte helfen die Ausbildung in ländlichen Gebieten und eine frühe Einbindung in die ländliche Gesundheitsversorgung. Zur Förderung von innovativen Versorgungsmodellen in ländlichen Räumen ist zudem eine datengestützte und bedarfsorientierte Versorgungsplanung von Bedeutung. Für telemedizinische Innovationen ist der Ausbau der digitalen Infrastruktur Voraussetzung. Und nicht zuletzt sorgt der Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel dafür, dass Patienten in entlegenen Winkeln Deutschlands den gesetzlich zugesicherten Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten.

Hannah Budde war als studentische Mitarbeiterin an der TU Berlin und für das European Observatory on Health Systems and Policies tätig.
Claudia B. Maier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin sowie Senior Fellow beim European Observatory on Health Systems and Policies.
Oliver Weiss ist Illustrator und Designer.