Porträt
Vorstand gefragt!

„Wir brauchen eine Allianz der Willigen“

Mehr gesetzliche Gestaltungsspielräume für regionale Versorgungsangebote, die über die Sektorengrenzen hinausgehen und auch die Pflege einbeziehen – dafür plädiert Daniela Teichert, die Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost. Als wegweisendes Beispiel sieht sie das Innovationsfonds-Projekt StimMT.

Gut ein Jahr nach Abschluss des Innovationsfonds-Projekts StimMT der AOK Nordost liegt der Abschlussbericht vor. Was sind die für Sie wichtigsten Ergebnisse?

Daniela Teichert: Es sind drei Kernerkenntnisse. Erstens haben wir mit dem Innovationsfonds-Projekt bewiesen, dass Strukturmigration möglich ist. Es lassen sich also vorhandene Strukturen so verändern, dass alle Beteiligten und vor allem die Patienten davon profitieren. Denn wir haben unnötige Krankenhausaufenthalte vermieden. Zweitens haben wir festgestellt, dass wir durch die derzeit geltenden Regelungen sehr eingeschränkt sind. Das betrifft innovative Lösungen und regionale Gestaltungsspielräume. Die dritte Kernerkenntnis ist: Wenn die Partner vor Ort es tatsächlich wollen, gibt es solche Veränderungen. Das kostet zwar Zeit und viel Kraft, aber es ist möglich, wenn eine Allianz der Willigen da ist.

Was konkret meinen Sie mit der Strukturmigration?

Teichert: Wir haben in Templin ein Krankenhaus in ein Ambulant-Stationäres Zentrum umgewandelt und zugleich ein sektorenübergreifendes Koordinierungs- und Beratungszentrum aufgebaut. Damit haben wir nicht einfach nur kooperative Strukturen geschaffen, sondern Versorgungsstrukturen miteinander verschmolzen. Das hat es bisher so nicht gegeben.

Welche Chancen sehen Sie, dass das Projekt StimMT in die Regelversorgung aufgenommen wird?

Teichert: Die Entscheidung liegt nun beim Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses, des GBA. Sollte dieser eine positive Empfehlung abgeben, werden wir uns natürlich auch bei der Weiterentwicklung des Projektes engagieren. Wir nehmen auf jeden Fall wahr, dass auch bei Kassenärztlichen Vereinigungen und bei den Krankenhausträgern die Diskussion über solche Strukturveränderungen etwas Fahrt aufgenommen hat. Das ist eine gute Entwicklung, denn in der Vergangenheit haben alle Beteiligten ihren jeweiligen Sektor meist verteidigt. Auch die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass der Innovationsfonds erhalten bleiben soll. Wir haben ein Zehn-Punkte-Papier als Zielbild für die regionale „Gesundheitsversorgung der Zukunft“ entwickelt, das die Erkenntnisse aus dem StimMT-Projekt aufgreift. Ich hoffe, dass der Innovationsausschuss die Übernahme in die Regelversorgung empfiehlt.

Welche sind die größten Hürden für solche Strukturveränderungen?

Teichert: Es gibt noch immer zahlreiche gesetzliche Schranken, auch wenn bei Modellvorhaben und Selektivverträgen in der Vergangenheit viel passiert ist. Die reichen aber bei sektorenübergreifenden Ideen nicht aus. Ein solches Projekt wie StimMT konnte nur innerhalb des Innovationsfonds mit seinen nicht ganz so starren Regularien funktionieren. Und selbst da bewegen wir uns in einem vergleichsweise engen Korsett. Unter normalen gesetzlichen Rahmenbedingungen müssten wir ganz schnell sagen: Das geht nicht. Und einen solchen Satz sage ich ungern, vor allem dann, wenn ich den Eindruck habe, dass sich regionale Versorger gerade auf den Weg machen, solche Veränderungen nachhaltig zu etablieren. Deshalb brauchen wir mehr.

Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung?

Teichert: Noch wissen wir nicht, was unter dem Schlagwort „Versorgung neu denken“ genau zu verstehen ist. Die wichtigste Aufgabe für die Ampel-Koalition ist aber, die finanzielle Grundlage der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern. Wir benötigen auf gesetzlicher Ebene mehr Gestaltungsspielraum, um solche regionalen Versorgungsansätze wie in Templin verwirklichen zu können. Und wir brauchen eine besser aufeinander abgestimmte, vernetzte Versorgung. Es gibt viele Ineffizienzen, die sich mit einer sektorenübergreifenden Planung auflösen ließen. Das umfasst die ambulante und stationäre medizinische Versorgung, aber auch die ambulante und stationäre Pflege und selbstverständlich auch eine länderübergreifende Planung. Entscheidend muss dabei die Patientenzentrierung sein.

Für solch umfassende Veränderungen ist das Ja der Bundesländer erforderlich. Sehen Sie hier Chancen?

Teichert: Die Bereitschaft ist da. Die konkrete Ausgestaltung ist noch nicht ausreichend, etwa bei der länderübergreifenden Krankenhausplanung von Berlin und Brandenburg. Es gibt Regionen, in denen die Landesregierungen die Notwendigkeit für spezifische Lösungen sehen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die Enquete-Kommission zur „Zukunft der medizinischen Versorgung“, in Brandenburg die Modellregion Gesundheit Lausitz. Das sind gute Ansätze. Aber es handelt sich dabei noch nicht um eine sektorenübergreifende Planung, die auch die Pflege mitdenkt. Bisher gehen die Länder von den derzeitigen Planungsstrukturen aus und entwickeln diese ein Stück weiter.

Was bedarf es denn, damit auf diese Einsichten auch die erforderlichen Gesetzesänderungen folgen?

Teichert: Wichtig ist erst einmal eine Allianz der Willigen, die solche Veränderungsnotwendigkeiten sehen und diese auch wollen. Wenn jede Leistungserbringer-Seite an ihrer derzeitigen Struktur festhält, haben wir als Kasse allein keine großen Möglichkeiten. Wir müssen solche Veränderungsnotwendigkeiten auch stärker mit entsprechenden Daten belegen. Und das kann nicht eine Krankenkasse allein angehen, sondern dazu ist ein Verbund mit anderen Kassen sinnvoll. So arbeiten wir bereits mit anderen Kassen zusammen, etwa im Projekt StimMT. Wenn die entsprechende gesetzliche Grundlage da ist, geht es um die Frage: Haben wir die Partner, die bereit sind, einen solchen Weg mit allen Schwierigkeiten und Chancen zu gehen und Lösungen zu entwickeln, die auch bei den Patienten ankommen? Das ist der entscheidende Punkt.

Bernhard Hoffmann führte das Interview. Er ist Chefredakteur der G+G.
Bildnachweis: AOK Nordost