Thema des Monats

Plädoyer für starke Patientenrechte

Nach einem Behandlungs- oder Pflegefehler haben Patientinnen und Patienten oft Schwierigkeiten, ihre Rechte durchzusetzen. Die Bundesregierung sollte deshalb die gesetzlichen Grundlagen schärfen, fordern Nora Junghans und Claus Fahlenbrach. Die AOK-Gemeinschaft hat entsprechende Vorschläge längst vorgelegt.

Vor zehn Jahren ist das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten. Anlass zum Feiern haben die Patientinnen und Patienten aber nicht: Immer noch können sie bei Behandlungsfehlern ihr Recht schwer durchsetzen – falls sie überhaupt Hinweise auf Fehler erhalten. Die rund 13.000 Verdachtsfälle, die der Medizinische Dienst im Jahr 2021 im Auftrag der Krankenkassen zu prüfen hatte, sind nur die Spitze eines Eisbergs. Nach wie vor ist der offene Umgang mit Behandlungs- und Pflegefehlern keineswegs selbstverständlich. Wenn Patienten einen Fehlerverdacht haben, können sie häufig die Behandlungsunterlagen nicht ohne weiteres einsehen. In außergerichtlichen Verhandlungen und vor Gericht haben sie bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen oft einen schweren Stand.

Die Politik schreibt sich immer wieder eine Stärkung der Patientenrechte auf die Fahnen. Doch in der Amtszeit der Großen Koalition bis Dezember 2021 ist es im Wesentlichen bei der Absichtserklärung geblieben. Lediglich für das dringende Erfordernis einer ausreichenden gesetzlich geregelten Haftpflichtversicherung wurde eine Norm geschaffen. Dabei hat der Gesetzgeber jedoch nicht alle Behandelnden in die Versicherungspflicht eingeschlossen.
 
Die Ampel-Koalition hat nun das Thema Patientenrechte erneut aufgegriffen und bereits im Koalitionsvertrag erklärt: „Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Patientinnen und Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen wird eingeführt.“

Reform ist überfällig.

Die Verbesserung der Rechtsstellung von Patienten im Zusammenhang mit einem vermuteten oder festgestellten Behandlungsfehler lässt sich nur mit einer längst überfälligen Reform der unter anderem im Patientenrechtegesetz verankerten Normen erreichen. Die AOK-Gemeinschaft fordert seit langem Nachjustierungen. Sie hat bereits im Jahr 2019 konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Rechtsstellung von Patientinnen und Patienten erarbeitet, die sie vor der Bundestagswahl im Jahr 2021 geprüft und aktualisiert hat. Würde die Bundesregierung diese Vorschläge umsetzen, wäre ein Fonds als Almosen-Konstrukt außerhalb der gesetzlichen Normen überflüssig.
 
Anlässlich eines Festaktes zum zehnjährigen Bestehen des Patientenrechtegesetzes wies der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, Stefan Schwartze, auf den Handlungsbedarf hin. Er erklärte, sich unter anderem für folgende Weiterentwicklungen bei den Patientenrechten einsetzen zu wollen: Senkung des Beweismaßes hinsichtlich der Kausalität zwischen Fehler und Schaden auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit; Schärfung der patienten­orientierten Informations- und Aufklärungspflichten der Behandelnden insbesondere mit Blick auf Individuelle Gesundheitsleistungen und bestimmte Patientengruppen, wie beispielsweise kognitiv eingeschränkte Menschen; Stärkung des Einsichtsrechts in die Patientenakte und Ergänzung auf weitere Unterlagen beim Nachweis eines berechtigten Interesses; Erfassung, Analyse und Vermeidung schwerwiegender Fehler.

Anträge abgeschmettert.

Mit dem Patientenrechtegesetz wollte der Gesetzgeber für Transparenz, Rechtssicherheit und Ausgewogenheit sorgen. Die Vollzugsdefizite wollte er abbauen. Hierzu sollten unter anderem das Behandlungs- und Arzthaftungsrecht kodifiziert sowie die Rechte der Patienten gegenüber den Leistungsträgern und bei Behandlungsfehlern gestärkt werden. Unter dem Strich ist für das Arzthaftungsrecht lediglich Richterrecht kodifiziert worden. Möglicherweise ist dies auch ein Grund dafür, dass die von den Medizinischen Diensten begutachteten Behandlungsfehler-Verdachtsfälle seit Jahren bei einer Anerkennungsquote um 25 Prozent stagnieren (siehe Grafik „Medizinischer Dienst prüft Behandlungsfehler-Vorwürfe“).

Bereits der Fehlernachweis ist für Patienten eine große Hürde.

Im damaligen Gesetzgebungsverfahren hatten verschiedene Anträge, die die Patientenrechte stärken sollten, keine Chance. Dazu gehörte beispielsweise, dass Ärzte individuelle Gesundheitsleistungen erst am Folgetag einer Behandlung erbringen dürfen, um den Patientinnen und Patienten ausreichend Bedenkzeit einzuräumen. Auch die Anträge auf Einführung eines Mediations- und Schiedsverfahrens für Haftpflichtfälle und auf den Aufbau eines bundesweiten Fehlermanagementsystems, kamen nicht durch. Der dringenden Notwendigkeit, zugunsten der Patientinnen und Patienten die Beweislast zu erleichtern, hat der Gesetzgeber ebenfalls nicht entsprochen. Dabei hätte das deren Rechtsposition tatsächlich verbessert.

Neuregelungsbedarf erkennen.

Die schon 2013 dringend erforderliche Stärkung der Patientenrechte muss nach nunmehr zehn Jahren endlich umgesetzt werden. Die Formulierung von Forderungen oder Absichtserklärungen reicht nicht aus. Es bedarf konkreter Vorschläge für Gesetzesänderungen, die kurzfristig in einen Gesetzentwurf münden. Die geltenden Normen müssen auf den Prüfstand. Darüber hinaus geht es darum, Neuregelungsbedarf zu erkennen und ebenfalls gesetzlich zu verankern.
 
So sind Erleichterungen beim Nachweis der Kausalität zwischen einem Behandlungsfehler und dem nachfolgend eingetretenen Schaden notwendig. Was einfach klingt, ist für medizinische und juristische Laien kaum zu realisieren. Nach geltender Rechtslage muss ein Patient nicht nur den Beweis dafür führen, dass ein Verstoß gegen den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standard und ein Schaden vorliegen, sondern auch, dass der Behandlungsfehler diesen Schaden verursacht hat. Da es derzeit aber keine Pflicht für Behandelnde gibt, Patienten ohne deren Nachfrage über einen (möglichen) Behandlungsfehler zu informieren, ist bereits der Fehlernachweis für den Betroffenen eine große Hürde. Für die Kausalität zwischen Fehler und Schaden muss der Beweis künftig als geführt gelten, wenn diese überwiegend wahrscheinlich ist. Dies würde nicht nur dem Wissensgefälle zwischen Patienten und Behandelnden Rechnung tragen, sondern eine für den Behandlungsvertrag gesetzlich normierte Diskriminierung der Patientinnen und Patienten aufheben.

Beweislast verändern.

Die vertragliche Haftung verknüpft den Schadenersatzanspruch mit der Pflichtverletzung und setzt keine Rechtsgutverletzung voraus. Infolge einer Pflichtverletzung aus dem durch Vertrag begründeten Schuldverhältnis kann der Geschädigte Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Über die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Betroffenen ein Schaden entstanden ist, müsste nach dem für die vertragliche Haftung geltenden Beweismaß das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden. Dabei würde eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Allerdings gelten für die Beweislastverteilung bei Behandlungsverträgen andere Regelungen. Sie sehen vor, dass Patienten den Vollbeweis hinsichtlich der Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem eingetretenen Schaden erbringen. Das Gericht muss hierzu aus voller Überzeugung entscheiden, ob es eine Behauptung für wahr oder nicht wahr erachtet. Diese rechtliche Anomalie gilt es zu beseitigen.

Ringgrafik

Von den 13.050 Behandlungsfehler-Verdachtsfällen, die der Medizinische Dienst im Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2021 prüfte, haben die Gutachter rund 25 Prozent als Behandlungsfehler mit Schaden bestätigt. Bei rund 21 Prozent war die Kausalität zwischen Fehler und Schaden aus medizinischer Sicht nachgewiesen.

Quelle: Behandlungsfehler-Begutachtung der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste – Jahresstatistik 2021

Die AOK-Gemeinschaft hat hierzu einen Gesetzesvorschlag formuliert, der an Paragraf 630h Bürgerliches Gesetzbuch anschließt: „Der Patient hat das Vorliegen des Behandlungsfehlers und den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit zu beweisen. Hinsichtlich der Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem Eintritt der Rechtsgutverletzung gilt der Beweis bei einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit als geführt.“ (siehe „Vorschläge der AOK-Gemeinschaft zur Stärkung der Patientenrechte“, Webtipps)

Einsichtnahme erleichtern.

Die Einsichtnahme in die Original-Patientenakte ist eines der grundlegenden Patientenrechte. Bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Patientenrechtegesetz haben verschiedene Seiten darauf hingewiesen, dass das Einsichtsrecht nur unzureichend oder gar nicht gewährt werde, Patienten keine Einsicht oder unvollständige Unterlagen erhielten – oft nach monatelangem Kampf, nicht selten vor Gericht. Die mit dem Patientenrechtegesetz entsprechend geschaffene Norm dient zwar der Umsetzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und greift die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2006 auf. Doch das bloße „Gießen“ des Patientenrechts in eine gesetzliche Norm bedeutet für die Betroffenen keine Verbesserung ihrer Rechtsposition, wenn Regelungen für Gesetzesverstöße fehlen. Hier muss der Gesetzgeber nun für eine Normierung sorgen, die den Gesetzesverstößen mit entsprechenden Sanktionen begegnet.
 
Die AOK-Gemeinschaft hat hierzu einen konkreten Vorschlag erarbeitet. Er stellt auf den Zeitpunkt des Beginns der Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche ab. Der Lauf der Verjährungsfrist darf frühestens ab dem Zeitpunkt beginnen, zu dem die vollständige Patientenakte eingesehen werden konnte. Erst zu diesem Zeitpunkt sind Betroffene in der Lage, die Behandlungsabläufe in vollem Umfang nachzuvollziehen und diese bei Bedarf prüfen und bewerten zu lassen. Die elektronische Patientenakte kann in diesem Zusammenhang zukünftig eine Erleichterung sein.
 
Häufig ergibt sich aber ein Gesamtbild der Behandlungsabläufe erst aus der Kenntnis von Unterlagen, die über die Patientenakte hinausgehen. So hat die Justizministerkonferenz schon 2017 gefordert, dass durch eine Infektion geschädigte Patientinnen und Patienten Einsicht in die Hygienepläne des Krankenhauses erhalten. Bei berechtigten Interessen muss das Einsichtsrecht ausgeweitet werden, beispielsweise auf Aufzeichnungen über den Nachweis der Funktionsprüfung von medizinischen Geräten oder die ordnungsgemäße Einweisung der Anwender, um hier die Rechtsposition der Betroffenen zu stärken.

Haftpflichtversicherung für alle Behandelnden.

Um Schadenersatzansprüche durchsetzen zu können, bedarf es nicht nur eines zahlungswilligen, sondern auch eines zahlungskräftigen Schuldners. Mit dem Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetz hat der Gesetzgeber 2021 in einem ersten Schritt Vertragsärzte und -zahnärzte sowie Vertragspsychotherapeuten verpflichtet, sich gegen die sich aus ihrer Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren zu versichern. In einem zweiten Schritt ist es nun dringend geboten, die Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung auf alle Behandelnden im Gesundheitswesen und auf Medizinproduktehersteller auszuweiten. Auch andere Berufsgruppen, beispielsweise aus der Pflege oder der Osteopathie, müssen entsprechend versichert sein.

1. Schritt: Beratung

Mit umfangreicher medizinischer und juristischer Fachkompetenz unterstützt die AOK ihre Versicherten individuell bei Verdacht auf einen Behandlungs- oder Pflegefehler. Sie hilft, Behandlungsabläufe richtig einzuschätzen und zu bewerten, gibt Hinweise zum Medizinrecht und angrenzenden Rechtsgebieten in Bezug auf das individuelle Behandlungsgeschehen oder hilft bei der Suche nach Beratungsalternativen.

2. Schritt: Anforderung der Behandlungsunterlagen

Nach einer Schweigepflichtentbindung und Herausgabegenehmigung fordert die AOK die Behandlungsunterlagen an. Mit der Anforderung der Behandlungsunterlagen übernimmt sie den Schriftverkehr mit den Behandlern. Wichtig für die medizinische und juristische Bewertung eines möglichen Fehlers sind darüber hinaus die Angaben der Versicherten zum Behandlungsverlauf, zum Beispiel auf Basis eines Gedächtnisprotokolls.

3. Schritt: Medizinische Bewertung eines möglichen Behandlungsfehlers

Fachleute der AOK prüfen alle Unterlagen, die mit dem Verdacht auf einen Behandlungsfehler zusammenhängen. Erhärtet sich der Verdacht auf einen Behandlungs- oder Pflegefehler, werden die Unterlagen unter Zugrundelegung konkreter, einzelfallbezogener Fragestellungen medizinisch bewertet. Dabei hilft der Medizinische Dienst (MD) mit medizinischen Stellungnahmen und Gutachten. Unter anderem im Rahmen von Fallkonferenzen erörtern die AOKs gemeinsam mit dem MD, ob alle relevanten Unterlagen vorhanden sind, ob sich aus der Behandlungs­dokumentation ein Hinweis auf einen Behandlungs- oder Pflegefehler ergibt und wo gegebenenfalls der Schwerpunkt eines möglichen Standardverstoßes liegt.

4. Schritt: Prüfung des Gutachtens und juristische Bewertung

Liegt das Ergebnis der gutachterlichen Bewertung vor, prüfen es die AOK-Fachleute auf Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit. Abhängig vom Ergebnis informiert die AOK die Versicherten über weitere Handlungsoptionen.

5. Schritt: Durchsetzung von Schadenersatz­ansprüchen nach einem Fehler

Die AOK unterstützt ihre Versicherten im Rahmen der außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung und Durchsetzung von berechtigten Ansprüchen auf Schadenersatz bei einem Behandlungs- oder Pflegefehler, gibt Hinweise zu einem möglichen Verjährungseintritt, zur etwaigen Beweislastumkehr oder zu Fragen des materiellen Schadenersatzanspruchs. Sie hilft auch bei der Suche nach einem Fachanwalt für Medizinrecht und arbeitet mit dem Rechts­beistand des Versicherten zusammen. Auch prüft sie im Einzelfall Klageschriften, Klageerwiderungen und andere Gutachten auf Unstimmigkeiten und klärt diese. In geeigneten Fällen geht die AOK als Vorreiter in den Rechtsstreit.

Quelle: AOK-Bundesverband

Mit Blick auf die Schicksale vieler Betroffener ist es zudem wichtig, die Mindestversicherungssumme pro Versicherungsfall anzuheben. Diese sollte einen Betrag in Höhe von 7,5 Millionen Euro analog der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nicht unterschreiten, um alle durch den Behandlungsfehler eingetretenen Schäden zumindest finanziell abzudecken.

Qualität von Gutachten verbessern.

Grundlage für eine richterliche Entscheidung in einem Arzthaftungsprozess ist die sachverständige Begutachtung der Behandlungsabläufe. Da hiervon der Erfolg einer Klage abhängt, ist es notwendig, Standards und Qualitätskriterien für medizinische Sachverständigengutachten gesetzlich festzulegen und die Nichteinhaltung zu sanktionieren. Damit Patienten auch außerhalb eines Rechtsstreits die Chance haben, Schadenersatzansprüche durchzusetzen, müssen diese Kriterien für alle Gutachten, unabhängig vom Ersteller, gelten. Für die Patienten geht es um sehr viel, oft sogar um ihre Existenz.

Daneben bedarf es durchgreifender Maßnahmen zur Beschleunigung der Rechtsstreite, um für die Geschädigten zeitnah Rechtssicherheit zu schaffen und das jahrelange Warten zu beenden. Hierzu wären vor allem die Stärkung des Parteisachverständigen und die Einrichtung von Spezialkammern auch für Rechtsstreite im Medizinprodukterecht wichtige erste Schritte.

Informationspflichten ausweiten.

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung hat sich für verstärkte Informations- und Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) ausgesprochen. Aufklärung und Informationen über Nutzen und Schaden einzelner IGeL bietet der „IGeL-Monitor“. Von den 55 im Jahr 2022 vom Team des IGeL-Monitors bewerteten individuellen Gesundheitsleistungen schlossen nur zwei mit der Bewertung „tendenziell positiv“ ab. Bei den meisten anderen hingegen überwiegt der potenzielle Schaden den möglichen Nutzen oder sie erhalten die Bewertung „unklar“. Noch immer aber bieten Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten Leistungen an, die eindeutig negativ bewertet wurden.
 
Umso wichtiger ist es, im Gesetz die Pflicht zu normieren, dass Behandelnde ihre Patienten über den zu erwartenden medizinischen und individuellen Nutzen der IGeL aufklären. Zwar besteht diese Informationspflicht bereits. Der Gesetzgeber hat es aber versäumt, diese ausdrücklich für IGeL zu normieren. Dabei stellt die Information über den möglichen individuellen Nutzen – neben den Kosten – die wichtigste Entscheidungsgrundlage für oder gegen die Leistung dar.

Fehler ohne Nachfrage mitteilen.

Aber auch die Pflicht der Behandelnden, ihre Patienten auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren über Umstände, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, zu unterrichten, läuft nahezu leer. Sie geht in ihrer Ausgestaltung an der Realität vorbei. Die meisten Patientinnen und Patienten sind medizinische Laien. Wenn der Erfolg einer Behandlung ausbleibt, können sie daraus nicht schließen, dass möglicherweise ein Behandlungsfehler ursächlich sein könnte. Doch dieser Verdacht wäre Grundlage dafür, dass Patienten überhaupt beim Behandelnden nachfragen. Entsprechende Anhaltspunkte haben die meisten Patienten nur sehr selten – bei offensichtlichen Fehlern. Ein nicht informierter Patient kann seine Rechte aber nicht wahrnehmen. Deshalb sollten die Behandelnden gesetzlich verpflichtet wer­den, Umstände, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, den Patienten generell ohne Nachfrage mitzuteilen. Sie gefährden dadurch ihren Versicherungsschutz nicht, sodass diese Hürde bei der Informationspflicht wegfällt.

Arzneimittelschäden verfolgen.

Ähnlich dringenden Handlungsbedarf gibt es in Fällen, in denen Patienten durch Arzneimittel geschädigt wurden. Hierbei geht es unter anderem um Hersteller, die ihnen bekannte Risiken und Nebenwirkungen verschweigen oder nur lückenhaft in die Packungsbeilagen aufnehmen. Gerne würden die Kassen ihre Versicherten bei der Verfolgung entsprechender Schadenersatzansprüche unterstützen – können es aber nicht.

Ein nicht informierter Patient kann seine Rechte nicht wahrnehmen.

Zum einen fehlt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage für eine Unterstützung durch die Kassen. Zum anderen bietet das Arzneimittelgesetz aktuell keine ausreichende Grundlage für Betroffene, um Schadenersatzansprüche durchzusetzen. Hier sollte der Gesetzgeber das Gewicht von den rein monetären Interessen der Pharmaindustrie entsprechenden Normen des Arzneimittelgesetzes hin zu einer echten Verbesserung der Rechtsposition der Geschädigten verschieben.

Benachteiligung beseitigen.

In Deutschland hingegen muss der durch ein Arzneimittel geschädigte Patient den Beweis führen, dass kein anderer Umstand als die Einnahme des Arzneimittels für den eingetretenen Schaden ursächlich gewesen ist. Diese Regelung lässt außer Acht, dass die Entstehung von Gesundheitsschäden stets individuell und multifaktoriell bedingt ist und daher eine solche Beweisführung praktisch unmöglich ist. Bei einem inzwischen vom Markt genommenen Schmerzmittel hat der Hersteller bewusst das signifikant erhöhte Risiko für das Eintreten beispielsweise von Herzinfarkten bei bestimmten körperlichen beziehungsweise gesundheitlichen Konstitutionen verschwiegen. In einem solchen Fall müssen Patienten, die das Arzneimittel im Vertrauen auf eine Besserung ihrer körperlichen Beschwerden eingenommen haben, beim Eintritt der Gesundheitsschädigung zumindest Schadenersatzansprüche durchsetzen können. Hier muss der Gesetzgeber die massive Benachteiligung der von Arzneimittelschäden Betroffenen dringend beseitigen. Insbesondere wegen der Komplexität der Materie und des Wissensgefälles sollte er zugleich die Rechtsgrundlage für die Unterstützung der Betroffenen durch ihre Krankenkassen schaffen. Unabhängig davon läge es auch im Patienteninteresse, wenn es der Hersteller wäre, der beweisen müsste, dass er jeweilige Risiken in Studien bewertet, möglichst ausgeschlossen und die Ergebnisse transparent gemacht hat.

Medizinprodukte-Schäden einbeziehen.

Auch den Patienten, die durch fehlerhafte Hochrisiko-Medizinprodukte geschädigt wurden, muss der Gesetzgeber durch die Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage die Unterstützung ihrer Krankenkassen ermöglichen. Aktuell werden Betroffene trotz der massiv zunehmenden Technisierung der Medizin schlicht allein gelassen. In der Konsequenz und möglicherweise die Unwissenheit der Betroffenen ausnutzend werden beispielsweise explantierte Medizinprodukte häufig entsorgt oder bei der Untersuchung durch den Hersteller zerstört. Damit wird dem Patienten eines der wichtigsten Beweismittel im Kampf um Schadenersatzansprüche entzogen, obwohl er der Eigentümer der ihm implantierten Produkte ist.

Nach Paragraf 1 Medizinproduktegesetz (MPG) ist die Patien­tensicherheit ein zentrales Anliegen beim Einsatz von Medizinprodukten. Dazu gehört es auch, in Fällen von Serienschäden alle Patienten schnell und vollständig über den Fehler und dessen mögliche Folgen zu informieren. Die Annahme, dass im Fall fehlerbedingt notwendiger Zweiteingriffe regelhaft die Implantat-Pässe vorliegen oder die Behandelnden in jedem Einzelfall versuchen zu eruieren, ob das Primärimplantat möglicherweise zu einem Serienschaden gehört, ist realitätsfern. Zukünftig könnte auch hier die elektronische Patientenakte als Informationsquelle dienen. Kurzfristig ließe sich dadurch Abhilfe schaffen, dass die entsprechenden Produktinformationen Eingang in die Abrechnungsdaten für die Krankenkassen finden. Datenschutzrechtliche Aspekte stünden dieser Änderung nicht entgegen, da den Krankenkassen im Rahmen der Abrechnung ohnehin bekannt wird, ob bei einem Patienten beispielsweise eine Hüft-Endoprothese implantiert wurde. Die Produktinformation liefert nur die zusätzliche Information, um welches Modell es sich handelte. Wenn die Krankenkassen wissen, welche Patienten ein fehlerhaftes Produkt erhalten haben, können sie diese informieren und beraten.

Risiken Künstlicher Intelligenz berücksichtigen.

Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Rahmen von Diagnosestellung und Therapie birgt spezielle Risiken für Patienten. Risiken können sowohl auf den Hersteller als auch auf den Anwender zurückgehen. Zwar muss die Behandlung grundsätzlich nach dem aktuell geltenden, allgemein anerkannten fachlichen Standard erfolgen. Für den Einsatz von KI sind solche vergleichbaren Standards jedoch noch nicht entwickelt worden. Dennoch ist der Einsatz von KI ein Teil der den Behandelnden zustehenden freien Methodenwahl. Wichtig ist im Zusammenhang mit neu zu schaffenden gesetzlichen Regelungen, dass die Interessen der Patientinnen und Patienten nicht hinter den rein finanziellen Interessen der Hersteller zurückstehen. Es ist zu verhindern, dass sie im Rahmen des Behandlungsvertrags das mit dem Einsatz einer KI verbundene Risiko schultern müssen.

Rechte umfassend verbessern.

Es ist an der Zeit, nach der bloßen Kodifikation des Richterrechts vor zehn Jahren dem Namen des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten umfassend gerecht zu werden. Deshalb ist es dringend geboten, bestehende Regelungen zu prüfen, anzupassen und von Vollzugsdefiziten zu befreien. Gleichzeitig müssen weitere bekannte Bedarfe für Regelungen zur Stärkung der Patientenrechte gesetzlich normiert werden. Der Schutz vor gesundheitlichen Schädigungen und das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten sind elementare Rechte und müssen weiterhin Gegenstand eines breiten gesellschaftlichen Diskurses sein.

Nora Junghans ist Volljuristin und Referentin für Behandlungsfehlermanagement im AOK-Bundesverband.
Claus Fahlenbrach leitet das Referat Versorgungsqualität im AOK- Bundesverband.
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