Gesundheitsversorgung auf dem Land: Nicht überall ist der nächste Arzt gleich um die Ecke.
Lebensverhältnisse

Zwölfpunkte-Plan für die Provinz

Die Lebensverhältnisse in Deutschland sind regional sehr verschieden. Die Bundesregierung hat nun einen Plan vorgelegt, wie sie dies ändern will. Für die Verbesserung der ländlichen Versorgung gibt es allerdings keine wirklich neuen Ideen. Von Tina Stähler

Wann fährt der nächste Bus,

gibt es im Umkreis einen Arzt und ist Wohnraum noch bezahlbar? Das hängt vom Wohnort ab, denn die Lebensverhältnisse sind hierzulande regional sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite stehen strukturstarke Ballungsräume, auf der anderen Seite Landstriche, die von Leerstand und Abwanderung betroffen sind.
Die Bundesregierung hat daher einen Zwölfpunkteplan mit dem Ziel vorgelegt, deutschlandweit gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Das Maßnahmenpaket basiert auf den Arbeitsergebnissen einer Kommission, die vor einem Jahr unter Vorsitz von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey (SPD) gebildet worden war. An der Arbeit waren alle Bundesministerien und Bundesbeauftragten, die Bundesländer sowie die Spitzenverbände der Landkreise, Städte und Gemeinden beteiligt.

Empfehlungen für Gesundheitsversorgung.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse sprach Landwirtschaftsministerin Klöckner als Einzige die ländliche Gesundheitsversorgung direkt an. Das Leben auf dem Land – ohne einen Arzt um die Ecke – dürfe nicht gefährlicher sein als das in der Stadt. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang auch die Mobilität. Auf dem Land würden keine U-Bahnen gebraucht – hier gehe es darum, wann der letzte Bus fahre. Klöckner erwähnte auch das Digitale Versorgung-Gesetz, das Jens Spahn zeitgleich ins Bundeskabinett einbrachte. Digitalisierung im Gesundheitsbereich lasse sich nur mit einer flächendeckenden Mobilfunk- und Breitbandabdeckung realisieren. Dazu werde der Aufbau einer eigenen Infrastrukturgesellschaft geprüft. Die Arbeitsgruppe „Soziale Daseinsvorsorge und Arbeit“, eines von sechs Gremien innerhalb der Kommission, hat konkrete Handlungsempfehlungen für die Gesundheitsversorgung gegeben. Dazu gehört unter anderem, die Notfallversorgung besser zu koordinieren, die Telemedizin auszubauen, medizinischen Nachwuchs auf dem Land zu fördern oder mobile Behandlungsangebote zu schaffen, etwa durch eine „rollende Praxis“.

Gezielt nach Bedarfen fördern.

Der Plan sieht zudem vor, wirtschaftlich strukturschwache Regionen nach einem gesamtdeutschen Fördersystem zu unterstützen. Wichtig sei, sich hier nicht an Himmelsrichtungen, sondern an Bedarfen zu orientieren, sagte Familienministerin Giffey. Die bislang regional beschränkten Förderprogramme sollten auf alle strukturschwachen Gebiete in Ost und West sowie in Stadt und Land ausgeweitet werden. Damit werde eine Art „Solidarpakt III“ geschaffen, sagte die SPD-Politikerin.

Laut Seehofer bedeuten gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland keinen „Einheitsbrei“ für alle. Stattdessen sollten allen Menschen die wichtigsten Einrichtungen der Daseinsvorsorge in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stehen. Die Disparitäten in Deutschland seien in diesem Zusammenhang noch immer beachtlich. Konkret sieht der Maßnahmenkatalog vor, Arbeitsplätze in strukturschwache Regionen zu bringen, das Breitband- und Mobilfunknetz flächendeckend auszubauen, die Mobilität und Verkehrsinfrastruktur zu verbessern, das Ehrenamt zu stärken sowie den sozialen Wohnungsbau und die Kindertagesbetreuung zu fördern.

Altschuldenproblematik offen.

Seehofer dämpfte zugleich Erwartungen, dass der Bund die Altschulden von Kommunen übernehmen werde. Der Bund sei aber bereit, mit Ländern und Kommunen über die Schuldenproblematik zu reden. 2.000 von 11.000 Gemeinden seien hiervon besonders betroffen. Dennoch seien die Länder vorrangig für die kommunale Finanzausstattung zuständig. Nach der Sommerpause soll mit Ländern und Kommunen über deren Rolle bei der Umsetzung beraten werden. Ihre Anliegen und Perspektiven sind bereits in die Beratung der sechs Arbeitsgruppen der Kommission eingeflossen. Allerdings gibt es noch keine gemeinsame Strategie.

Langfristige Aufgabe.

Aus Sicht der AOK darf bei der Debatte über gleichwertige Lebensverhältnisse die Gesundheitsversorgung nicht zu kurz kommen. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, erinnerte daran, dass Internet- und Verkehrsanbindung von der Politik oft an erster Stelle genannt würden. Gesundheitsversorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sollte bei allen konzeptionellen Überlegungen aber mindestens eine ebenso prominente Rolle spielen. Eine von der AOK in Auftrag gegebene forsa-Umfrage hatte ergeben, dass unter allen Infrastruktureinrichtungen den Deutschen die Gesundheitsversorgung am wichtigsten ist.

Schnelle Erfolge sind durch den „Modernisierungsplan“, wie Seehofer das Programm nennt, nicht zu erwarten. Der Innenminister machte deutlich, dass es sich um die Aufgabe für eine Dekade handele. In diesem Zeitraum würden wohl zweistellige Milliardenbeträge investiert werden. Der CSU-Politiker legte sich allerdings auf keine konkrete Summe fest. Es sei Aufgabe der Politik bei der Ausgestaltung der Haushaltspläne entsprechende Prioritäten zu setzen.

Tina Stähler ist Redakteurin der G+G.
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