Einwurf

Risiken richtig einordnen

Verbraucher fürchten sich oft vor Schadstoffen in Umwelt und Lebensmitteln, weiß Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung. Er will die Bevölkerung in die Lage versetzen, Gefahren besser einzuschätzen.

Porträt von Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung

Mikroplastik, Nanomaterialien, Pestizide,

Erdölrückstände, Dioxin und Umwelt-Hormone – ein regelrechtes Gewitter der Gifte scheint grollend über den Köpfen der Medienkonsumenten zu schweben, bereit, sich jederzeit zu entladen und die Menschen ins Unglück zu stürzen. Übertrieben? Zugegeben, das ist etwas überspitzt formuliert. Aber die Berichterstattung in den Medien, beispielsweise über den „Schadstoff der Woche“, tendiert dazu, Risiken zu überzeichnen, gelegentlich sogar bis ins Alarmistische zu steigern.

Als Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das seit seiner Gründung vor fast 20 Jahren die gesundheitlichen Risiken von Lebensmitteln, Chemikalien und Produkten bewertet, sind wir häufig mit den Sorgen beunruhigter Verbraucherinnen und Verbraucher konfrontiert und nehmen diese sehr ernst. Zu unseren gesetzlichen Aufgaben gehört, die Risiken nicht nur zu bewerten, sondern auch ihre Wahrnehmung und die Kommunikation über sie innerhalb der Bevölkerung zu untersuchen.

Die wissenschaftliche Bewertung eines Risikos ist eine nüchterne Angelegenheit. Am Ende steht eine Zusammenfassung des Forschungsstandes oder eine Empfehlung. Etwas ganz anderes ist die Wahrnehmung des Risikos, also der Bedeutungshof, der eine Chemikalie, einen Krankheitserreger oder eine unerwünschte Substanz umgibt. Er hat nicht immer viel mit Fakten, umso mehr aber mit Gefühlen zu tun. Wer hat nicht zum Beispiel bei Dioxin Assoziationen, Emotionen oder gar Erinnerungen an eine berüchtigte Substanz?

Ein wichtiges Instrument, um die Stimmung zum gesundheitlichen Verbraucherschutz in der Bevölkerung aufzunehmen, ist unser halbjährlicher BfR-Verbrauchermonitor. Die aktuelle Umfrage ergab, dass 24 Prozent der Befragten bestimmte Nährstoffe wie Zucker, Fett und Salz als größtes gesundheitliches Risiko einschätzen. Weit dahinter folgt mit zwölf Prozent „ungesunde Ernährung und Lebensweise“.

Oft wird Chemie per se als böse und Bio immer als gut angesehen.

Diese Einschätzung ist zunächst nachvollziehbar, denn Über- und Fehlernährung sind ein anerkannt großes gesundheitliches Risiko. Das Bild ändert sich, wenn gezielt nach einzelnen Verbraucherthemen gefragt wird. Hier rangieren mit Mikroplastik (77 Prozent), Resten von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln (67 Prozent), Glyphosat (58 Prozent) sowie gentechnisch veränderten Lebensmitteln (59 Prozent) typische „Schadstoffe der Woche“ ganz vorne. Um Listerien dagegen, immerhin ein potenziell lebensbedrohlicher Erreger, sorgt sich nur knapp jeder Dritte. Um Campylobacter, der häufigste Verursacher bakterieller Lebensmittelinfektionen, nicht einmal jeder Sechste.

Risiken durch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Gentechnik und ähnliches sind ernst zu nehmen. Aber sie sind, soweit wir wissen, überschaubar. Umso erstaunlicher, dass sich in vielen Umfragen ein ähnliches Muster abzeichnet: Chemie wird per se als böse angesehen, Bio immer als gut. An diesem Schema ändert kein Knollenblätterpilz und kein Ebola-Virus etwas. Auch Mythen, wie der von der „gütigen Natur“, prägen das Wirklichkeitsbild.

„Die Dosis macht das Gift“ lautet das Grundgesetz der Toxikologie. Es ist wichtig, immer wieder darüber zu informieren, dass zum Beispiel der Fund einer bedenklichen Chemikalie in einem Lebensmittel nicht an sich gefährlich ist. Mit modernen Nachweismethoden lassen sich geringste Mengen eines Stoffs aufspüren. Entscheidend ist jedoch, wieviel von der Substanz gefunden wurde und wie hoch ihre Konzentration ist. So relativieren sich Meldungen über Pestizid-Rückstände in Obst und Gemüse meist rasch. Denn die Konzentrationen der Rückstände liegen in der Regel weit unter denen, die für Konsumenten bedenklich wären. Obst und Gemüse bleiben ein gesunder Genuss, auch dank der Risikobewertung. Die Lehre daraus ist: Ein Schadstoff wird erst zu einem solchen, wenn die Substanz ab einer bestimmten Konzentration unerwünschte biologische Reaktionen auslöst.

Weitere Informationen über das Bundesinstitut für Risikobewertung

Andreas Hensel ist Veterinärmediziner, Mikrobiologe und Hygieniker. Seit 2003 ist er Präsident des 2002 gegründeten Bundes­instituts für Risikobewertung (BfR).
Bildnachweis: BfR